Soljanka (German Edition)
zögerte: »Los doch! Ich werde Ihnen schon nicht die Finger
abschneiden.«
Stamm hob langsam die Hand und griff nach dem Messer. Tutschkin zog
es schnell zurück und hinterließ eine rote Strieme in Stamms Handfläche.
»Das sollte reichen. Setzen Sie sich wieder hin.« Als Stamm seiner
Aufforderung gefolgt war, kniete sich Tutschkin wieder neben Cordes, schob ihm
den Messergriff in die rechte Hand, drückte die Finger des Toten an und öffnete
die Hand dann wieder. Schließlich warf er das Messer neben den Leichnam auf den
Teppich.
»So, jetzt haben wir ein halbwegs glaubwürdiges Szenario für einen
Kampf. Auf geht’s, Frau Vossen! Schnappen Sie sich eine Jacke, es ist kalt
draußen.«
Eva stand unentschlossen und zitternd mitten im Zimmer. »Mir ist
schlecht«, wisperte sie.
»Reißen Sie sich zusammen«, sagte Tutschkin kalt. »Solange Sie sich
anständig benehmen, brauchen Sie keine Angst zu haben. Ich werde Sie
rücksichtsvoll behandeln, damit Sie und Ihr Baby keinen Schaden nehmen. Wenn
Sie aber versuchen sollten, mich zu hintergehen, werde ich nicht zögern, Ihnen
eine Kugel in den Kopf zu jagen.«
»Hören Sie«, meldete sich Stamm. Er ballte die linke Faust um ein
Taschentuch, um nicht alles vollzubluten. »Wollen Sie nicht lieber mich
mitnehmen. Eva ist so geschwächt, ich weiß nicht, wie lange sie durchhalten
wird. Sie kann doch der Polizei erzählen, ich hätte Cordes getötet und wäre
danach in Panik geflüchtet.«
Tutschkin sah grimmig von einem zum anderen. »Ich verliere
allmählich die Geduld«, presste er leise hervor. »Entweder wir machen uns
augenblicklich auf den Weg, oder ich kehre zu Plan A zurück.« Er machte
Eva ein unmissverständliches Zeichen mit der Pistole.
Sie bewegte sich schwerfällig in Richtung Diele. »Ich muss noch mal
aufs Klo«, sagte sie.
Tutschkin wollte aufbrausen, riss sich dann aber zusammen.
»Schnell!«
Während die beiden Männer auf Eva warteten, breitete sich eine
unangenehme Stille aus. Irgendwann hielt es Stamm nicht mehr aus.
»Da wird Achim Kostedde aber sicher traurig sein, dass das schöne
Bauprojekt in die Binsen geht«, sagte er.
Tutschkin lachte. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Er wird eher
erleichtert sein. War kein einfaches Projekt mehr. Ich hatte ihn ja von vornherein
ein wenig überreden müssen.«
»Ach ja, was hatten Sie denn für Argumente?«
»Können Sie sich doch denken. Die alte Rindermastgeschichte. Ist
zwar heute nicht mehr justitiabel, politisch kann sie aber immer noch ziemlich
unangenehm sein.«
»Wieso ist er damals eigentlich für van Wateren eingesprungen?«
Tutschkin sah Stamm düster an. »Keine Ahnung. War eine Entscheidung
des hiesigen Notariats. War mir ganz recht. Van Wateren fehlte die notwendige …
Kompetenz.«
Wieder blieb es eine Weile still.
»Darf ich Sie noch was fragen?«, fragte Stamm schließlich. »Warum
sind Sie damals aus Waren weggegangen? Ich hätte ja verstanden, wenn Sie es
eher getan hätten, aber die Justiz hat sich so lange die Zähne an Ihnen
ausgebissen …«
Tutschkin/Dembski sah Stamm lange an. Schließlich lächelte er
melancholisch.
»Es war einfach nicht mehr schön in Waren. Hatten Sie noch nie das
Bedürfnis, einmal ganz von vorn zu beginnen, die Vergangenheit auszulöschen?«
»Nein«, sagte Stamm. »Aber ich habe auch keine schillernde
Vergangenheit, die zur Belastung werden kann. Wer weiß, an Ihrer Stelle hätte
ich vielleicht auch so gehandelt. Und warum so kurz danach dieser fingierte
Tod? Sie hatten doch schon Ihr neues Leben.«
Die Melancholie verschwand aus Dembskis Lächeln, es wirkte jetzt
spöttisch. »Besser ein fingierter Tod als ein richtiger, oder? Denken Sie an
den armen Josef Müller!«
»Moment, Müller ist bei einem Autounfall gestorben, haben Sie vorhin
selbst noch gesagt.«
»Das stimmt ja auch, die Frage ist nur, wie kam es zu dem Unfall?
Nun ja, ich weiß es halt auch nicht genau, ich war ja zu dem Zeitpunkt längst
selbst tot.« Er kriegte einen kleinen Lachanfall, der jedoch abrupt wieder
abebbte. »Wo bleibt denn Ihre Frau, verdammt noch mal?« Er ging zur Badtür und
klopfte heftig.
Im gleichen Moment ging die Tür auf. Eva stand mit durchgedrücktem
Rücken und selbstsicherem Gesichtsausdruck vor Dembski. Sie hatte sich ein
wenig geschminkt und die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden.
»Ich bin so weit«, sagte sie fest.
»Na dann los!«, rief Dembski. Er sah auf seine Uhr und drehte sich
noch einmal zu Stamm um. »Zehn Uhr. Um
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