Soljanka (German Edition)
Er war aufgesprungen
und hatte die Rettungsfahrzeuge zu sich dirigiert. Während die Sanitäter
heraussprangen, kamen zwei weitere Streifenwagen um die Ecke und sofort danach
noch ein Notarzt.
Um Mitternacht saßen Stamm und Eva in einem Büro im
Polizeipräsidium und warteten. Ein Beamter hatte sie mit Kaffee versorgt, doch
die Pappbecher waren längst leer. Eva lehnte an Stamms Schulter und war fast
eingedöst, als Hauptkommissar Walter Korn und eine junge Kriminalbeamtin
hereinkamen.
Korn sah aus, als habe er gerade frisch geduscht seinen Dienst
angetreten. Der Scheitel akkurat, das hellblaue Hemd glatt, die gelb-dunkelblau
gestreifte Krawatte sauber gebunden. Er hängte sein dunkelgraues Sakko über
eine Stuhllehne und setzte sich auf den Schreibtischstuhl gegenüber von Eva und
Stamm. Die Polizistin, die ihn begleitete, sportlich mit dunkelblondem
Pferdeschwanz, hellgrauem Sweatshirt, Jeans und Sneakers, setzte sich ein wenig
abseits und zückte einen Notizblock.
»Wie geht’s dem verletzten Polizisten?«, fragte Stamm.
»Den Umständen entsprechend«, sagte Korn. »Zum Glück nichts
Bedrohliches, aber er wird daran zu knabbern haben. Die Hüfte. Die Kugel ist
vom Hüftknochen abgeprallt, der Knochen ist gesplittert, und es gab natürlich
eine satte Fleischwunde. Die ist weniger das Problem. Aber der Knochen. Die
Ärzte versuchen, ihn zu retten, sonst braucht er eine Prothese. So, jetzt
lassen Sie uns zu den Ereignissen kommen. Ich schlage vor, Sie erzählen erst
einmal. Frau Brinkmann«, er sah zu seiner Kollegin hinüber, »wird das Wesentliche
notieren, aber ich denke, es ist zielführend, wenn wir das ganze Gespräch
aufnehmen. Sie haben doch nichts dagegen.«
Stamm schüttelte den Kopf. Korn legte ein Diktiergerät auf den
Schreibtisch, und Stamm berichtete von seiner Reise nach Salzburg, den
Informationen, die er dort eingeholt hatte, und der Zuspitzung der Ereignisse
nach seiner Rückkehr.
»Okay«, sagte Korn, als Stamm fertig war, »ich würde gleich gern
noch ein paar Fragen stellen, aber zuvor möchte ich von Frau Vossen hören, was
passiert ist, bevor Sie eingetroffen sind. Fühlen Sie sich dazu in der Lage?«
Er sah Eva mitfühlend an.
»Natürlich«, sagte sie schniefend. Sie berichtete, wie es zur
Konfrontation mit Cordes und später mit Dembski gekommen war.
»Nun gut«, sagte Korn, »ich glaube, den Verlauf der heutigen
Ereignisse haben wir so weit klar. Steigen wir ein wenig in den Hintergrund
ein. Herr Stamm, Sie hatten mir ja über die Vorkommnisse in Mecklenburg in den
neunziger Jahren berichtet. Die sind mir auch noch einigermaßen präsent. Was
mich jetzt interessieren würde: Unser Mann ist ausweislich seiner Papiere
Viktor Tutschkin, russischer Staatsbürger, Unternehmer mit Wohnsitz in
Montreux, Schweiz. Für uns insoweit kein Unbekannter, als wir in seine Richtung
im Mordfall Nellissen ermitteln. Sie sagen nun, es handele sich bei ihm um
Ulrich Dembski, früherer SED -Funktionär aus Waren
in Mecklenburg-Vorpommern. Nach unseren Unterlagen ist Dembski aber im Jahr
2000 beim Bergbahnunglück in Kaprun ums Leben gekommen …«
»Das stimmt definitiv nicht«, sagte Stamm. »Manche Zusammenhänge aus
der Vergangenheit mögen auf Rückschlüssen, teilweise sogar auf Spekulationen
beruhen. Aber dass Dembski nicht in der Bergbahn war, habe ich schwarz auf
weiß.« Er erzählte von Müllers gefälschter Todesbenachrichtigung. »Eigentlich
war dies eine durchaus riskante Methode, den Tod Dembskis vorzutäuschen, denn
im Endeffekt sind alle Opfer des Unglücks zweifelsfrei identifiziert worden.
Das war aber so nicht vorhersehbar. In den Medien hieß es immer, die Opfer
seien bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Deshalb dachten Dembski und Müller
wohl, dass sich hier eine ideale Möglichkeit bot, auf den Zug aufzuspringen …
Oh, entschuldigen Sie das verunglückte Bild … Aber sie haben die Möglichkeiten
der modernen Gerichtsmedizin unterschätzt. Wenn also irgendjemand nur einmal
nachgefragt hätte, wäre der Schwindel schon damals sofort aufgeflogen. Aber es
hat niemand nachgefragt. Frau Dembski war vermutlich gar nicht so unglücklich
über den Tod ihres Mannes, der sie ohnehin hatte sitzen lassen. Und die
Staatsanwaltschaft in Neubrandenburg war mit Sicherheit auch ganz erleichtert,
dass sie diesen verzwickten und mehr als unsicheren Fall los war. Apropos, was
ist eigentlich mit Dembski? Lebt er noch?«
»Er liegt im Koma«, sagte Korn. »Die Ärzte wissen nicht, ob
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