Soljanka (German Edition)
Polizisten nicht sehen. Er blieb offenbar
in Deckung hinter einem geparkten Auto. Stamm blickte sich panisch in der Küche
um. Neben ihm auf dem Herd stand der große Edelstahltopf. Kurz entschlossen hob
er ihn von der Platte. Er war schwer. Ein säuerlich-würziger Geruch stieg ihm
in die Nase. Stamm sah wieder nach unten.
Dembski stand immer noch da, jetzt gebückt hinter einem VW Golf, und hielt Ausschau nach seinem neuen
Gegner. Birgit und Eva waren ein paar Meter weggerobbt. Stamm brachte den Topf
in Anschlag, gab ihm noch ein wenig Schwung nach vorn und ließ ihn fallen.
Das Geschoss traf Dembski seitlich am Kopf und an der rechten
Schulter. Dann sprang der Topf auf den Golf, rote Suppe ergoss sich über die
Motorhaube. Dembski stürzte zu Boden. Ein Schuss löste sich mit einem
ohrenbetäubenden metallischen Knall. Offensichtlich war die Kugel in die
Karosserie des Wagens gedrungen.
Stamm raste aus der Küche hinaus, durch die Wohnung und die Treppen
hinunter. An der Haustür lugte er vorsichtig auf die Straße. Die Szenerie hatte
sich fast nicht verändert. Dembski lag immer noch da, aber jetzt kniete die
Frau, die Birgit hieß, über ihm und hielt die Pistole in der Hand. Gleichzeitig
kam von der anderen Straßenseite ein Mann mit Pistole im Anschlag angerannt.
Stamm hob die Arme.
»Er ist außer Gefecht«, rief er.
Der Polizist rannte heran, die Waffe immer noch im Anschlag. Er musterte
Stamm mit einem schnellen Seitenblick, dann kniete er schon neben Birgit. Mit
zwei Handgriffen vergewisserte er sich, dass von Dembski wirklich keine Gefahr
mehr drohte, dann sprang er auf.
»Halten Sie ihn in Schach«, rief er Birgit zu. Dann rannte er zurück
auf die Fahrbahn zu seinem verletzten Kollegen. Er ging neben ihm in die Knie,
redete ihm gut zu und drückte offenbar die Schusswunde ab.
Stamm sah sich um. Die Schießerei hatte natürlich die Anwohner
alarmiert. Aber die meisten waren vorsichtig, lugten nur hinter vorgezogenen
Vorhängen auf die Straße, einige wenige Fenster waren geöffnet. Die einzige
Person, die sich auf die Straße gewagt hatte, war ausgerechnet seine
Vermieterin.
»Was ist passiert?«, fragte sie Stamm ängstlich.
»Ich weiß es auch nicht so genau.« Er wandte sich ab und lief zu
Dembski, Eva und Birgit hinüber.
»Haben Sie meinen Mann gesehen?«, rief ihm Frau Cordes hinterher.
Stamm tat, als hätte er sie nicht gehört.
Dembski lag immer noch regungslos auf dem Bürgersteig. Stamm lief weiter
zu Eva, die sich inzwischen aufgesetzt hatte. Er kniete sich hin und nahm sie
in den Arm.
»Alles in Ordnung?«
»Ich glaube schon«, murmelte sie. »Ist er tot?« Sie wies mit dem
Kopf in Richtung Dembski.
»Weiß nicht, vielleicht. Ich habe den Suppentopf auf ihn geworfen.
Was war denn da drin? Soljanka?«
Eva nickte. »Eine kaukasische Variante. Mit Hammelfleisch und
Kichererbsen.«
»Musst du bei Gelegenheit noch mal machen.« Er streichelte mit einem
aufmunternden Lächeln ihr Gesicht.
»Ich weiß nicht«, seufzte sie erschöpft.
»Du erkältest dich noch«, sagte Stamm und half ihr auf die Beine.
Als sie beide standen, drehte Stamm sich um und sah nach Dembski.
Die Frau, die der alte KoKo-Mann Birgit genannt hatte, hatte sich aufgerichtet
und blickte sie an.
»Sie sind Birgit Dembski?«, fragte Stamm.
»Das war ich mal«, sagte Corinna Metzger.
Die Sirenen der Rettungskräfte verdrängten die Stille der Nacht
immer nachdrücklicher, eine aggressive Kakophonie, die von Sekunde zu Sekunde
anschwoll.
»Sie wussten, dass Tutschkin Ihr Vater ist«, sagte Stamm. Es war
eher eine Feststellung als eine Frage.
Corinna Metzger nickte. »Seit ich ihn in Cannes gesehen habe. Zum
Glück hat er mich nicht gesehen. Oder nicht wahrgenommen, ich weiß es nicht.
Ich habe mich zunächst von ihm ferngehalten. Aber seit er gestern in der
Ratssitzung aufgetaucht ist, hat es mir keine Ruhe mehr gelassen. Seitdem habe
ich versucht, ihn zu überwachen.«
»Ist er tot?«, fragte Stamm.
»Könnte sein. Ich kann keinen Puls fühlen, aber da kann man sich
täuschen.« Ihr Gesichtsausdruck war nicht zu deuten. Sie strich sich mit der
Hand über die Haare und lehnte sich erschöpft an das Auto, neben dem ihr Vater
lag.
Die Sirenen waren jetzt ohrenbetäubend. Die ersten Fahrzeuge bogen
von der Volmerswerther Straße ein – zwei Rettungswagen, gleich dahinter ein
Streifenwagen, Sekunden später der erste Notarzt. Stamm beobachtete den
Zivilbeamten, der sich um seinen Kollegen gekümmert hatte.
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