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Soljanka (German Edition)

Soljanka (German Edition)

Titel: Soljanka (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Frost
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seinen Kopf und
ohne sein Wissen zu treffen. Er hat sehr zurückhaltend reagiert und war letztlich
nur deshalb einverstanden, weil es Angelas dringender Wunsch war. Was ich sagen
will: Ich kann Ihnen kein Entree verschaffen. Sie müssen selbst mit ihm
zurechtkommen. Das ist nicht ohne Risiko. Sollten Sie ihn gegen sich
aufbringen, was durchaus leicht passieren kann, wäre das nicht hilfreich für
Angela.«
    »Wo finde ich ihn?«, fragte Stamm.
    »In Kargow, einem Weiler ein paar Kilometer östlich von Waren. Er
hat dort, wie gesagt, einen Hof.« Sie beschrieb ihm den Weg. »Übrigens nicht
allzu weit von der Jagdhütte, in der die Übergriffe stattgefunden haben
könnten.«
    »Ist das klug, dass sie den Ort ihrer Qualen quasi ständig vor Augen
hat?«
    Dr. Terlinden wiegte den Kopf. »Vielleicht habe ich mich nicht
ganz zutreffend ausgedrückt. Ständig vor Augen ist sicherlich nicht richtig.
Sie unterschätzen da die Entfernungen im Nationalpark. Also das wird schon ein
Fußmarsch von zwanzig Minuten sein, südöstlich vom Hof im Wald. Abgesehen davon
wurde nie ein Hinweis gefunden, dass es wirklich diese Hütte war. Es gibt noch
einige andere in der Gegend. Tja, ich weiß es nicht, ob Angela die Präsenz
dieser Hütte überhaupt bewusst ist, und wenn ja, ob sie eine Bedeutung hat. Es
ist jedenfalls nicht zu ändern, sie wohnt nun einmal auf dem Hof.«
    »Okay«, sagte Stamm. »Zurück zu Bach: Ich kann ihm aber doch
wenigstens sagen, wer ich bin und dass ich in Absprache mit Ihnen komme.«
    »Sonst würde er überhaupt nicht mit Ihnen sprechen«, sagte die
Ärztin und sah auf die Uhr. »Ich müsste mal so langsam los.«
    Stamm nickte. »Ich begleite Sie nach Hause. Sie sagten, man kann zu
Fuß gehen?« Dr. Terlinden nickte. »Ein Spaziergang wird mir guttun.«

VIER
    Stamm schlief neun Stunden lang tief und traumlos.
Trotzdem kam er kaum aus dem Bett. Er fühlte sich zerschlagen. Erst eine
ausgiebige Dusche brachte ihn auf Touren. Nach dem Frühstück loggte er sich mit
seinem Laptop ins WLAN des Hotels ein. Er
verschaffte sich einen Überblick über die Behördenstruktur in der Gegend und
machte sich ein paar Notizen. Die für Waren zuständige Ermittlungsbehörde war
offenbar die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg. Er rief dort an und verlangte
den Pressestaatsanwalt. Er wurde mit einer Staatsanwältin namens Eichhorn
verbunden, die sich wenig angetan davon zeigte, einem vor sieben Jahren
eingestellten Ermittlungsverfahren nachzurecherchieren. Sie bat Stamm, in zwei
Tagen noch einmal anzurufen.
    In einer Buchhandlung kaufte Stamm eine Wanderkarte des
Müritz-Nationalparks. Dann fuhr er nach Kargow. Es war ein gleißend heller
Wintertag. Die Sonne wurde von der geschlossenen Schneedecke auf den Feldern
reflektiert. Stamms Augen brannten. Er ärgerte sich, dass er keine Sonnenbrille
dabeihatte. Wegen des Schnees hatte er Mühe, Dr. Terlindens
Wegbeschreibung zu Bachs Hof zu folgen. Schließlich fand er das ziemlich
heruntergekommene Anwesen, fuhr aber zunächst vorbei und stellte den Peugeot
einige Hundert Meter weiter auf einem Wanderparkplatz ab. Außer ihm war niemand
da. Der Winter war an der Mecklenburgischen Seenplatte nicht einmal
Nebensaison.
    Stamm beschloss, vor seinem Besuch bei Bach einen Spaziergang zu
machen, um den Kopf klar zu bekommen. Auf der Wanderkarte versuchte er,
südöstlich von Bachs Hof eine Jagdhütte zu finden, es war aber keine
eingezeichnet. Er legte eine Route fest und stapfte los.
    Es dauerte eine Weile, bis sich der Nachhall des Zivilisationslärms
aus seinen Gehörgängen verflüchtigt hatte. Da es absolut windstill war, blieb
nach einer Viertelstunde nur noch das Knirschen des Schnees unter seinen
Schuhsohlen in seiner ganzen Reinheit übrig. Das einzige Geräusch, das sich in
der nächsten Stunde dazumischen sollte, war das dunkle Knarren eines
Kolkrabenpärchens, das die kahlen Hügel überquerte. Stamm wunderte sich über
die übermütige Energieverschwendung, die sich die Vögel leisteten. Sie schienen
sich gegenseitig zu jagen, ließen sich fallen, flogen wieder auf, drehten sich
in der Luft, ganz so, als wollten sie Stamm ein Schauspiel darbieten.
    Die Landschaft korrespondierte mit der Stille: weiße, sanfte Wellen,
so weit das Auge reichte. Vereinzelte windzerzauste Kopfweiden konnten sich in
diesem Umfeld wirkungsvoll in Szene setzen, ganz zu schweigen von einer Gruppe
uralter knorriger Eichen, eine Insel auf dem Kamm der höchsten Welle. Er
umrundete die »Insel« und

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