Soljanka (German Edition)
hat.«
»Gibt es sonst eigentlich keine Familie?«
»Doch. Angelas Mutter lebt meines Wissens irgendwo in Thüringen, in
Nordhausen, glaube ich. Angela hat keinen Kontakt zu ihr. Sie wirft ihr nicht
zu Unrecht vor, ihrem Missbrauch jahrelang tatenlos zugesehen zu haben.«
»Wusste sie denn davon?«
»Schwer zu sagen. Sie muss es zumindest geahnt haben, fühlte sich
ihrem Mann gegenüber aber hilflos. Ziemlich typisch. Kurz nach seinem Tod ist
sie aus Waren weggezogen. Es gibt dann noch eine ältere Schwester, Birgit. Sie
ist schon viel früher weggezogen, lebt, glaube ich, in Berlin. Sie besucht
Angela gelegentlich, ansonsten will sie wohl von ihrer Familie nichts mehr
wissen.«
»Ist sie auch missbraucht worden?«
»Auch sie ist nicht bei mir in Behandlung.«
Die Kellnerin kam und räumte ab. Stamm und Dr. Terlinden
bestellten noch ein Bier. Beide schwiegen ein paar Minuten.
Schließlich fragte Stamm: »Was genau erwarten Sie von mir?
Angenommen, ich schreibe was über den Fall, kann ich dann diese Zusammenhänge,
die Sie mir gerade geschildert haben, verwenden? Ich meine, verstehen Sie mich
nicht falsch, ich helfe ja gern bei der Therapie eines gebeutelten Menschen wie
Angela, aber ich bezweifle, dass ich eine Geschichte, die – in
Anführungszeichen – nur ein weiteres Beispiel für die Folgen von
Satanismuspraktiken ist, wie ich sie schon einmal beschrieben habe, noch einmal
ins Blatt bekomme. Um es klipp und klar zu sagen: Diese besonderen Umstände mit
KoKo-Dembski sind schon notwendig, um einen Folgeartikel platzieren zu können.«
Die Ärztin sah ihm ruhig in die Augen. »Das ist mir bewusst.«
Stamm nickte. »Okay. Ich müsste aber das, was Sie mir gesagt haben,
näher recherchieren.«
»Darum würde ich Sie sogar ausdrücklich bitten. Erkundigen Sie sich
ruhig nach Dembski. Es wäre mir sehr lieb, wenn ich nicht der einzige Informant
wäre. Schauen Sie, wir sind uns doch beide bewusst, dass ich ungewöhnlich offen
zu Ihnen war. Normalerweise fällt so was unter die ärztliche Schweigepflicht.
Hier hat mich Angela allerdings ausdrücklich gebeten, mit Ihnen Kontakt
aufzunehmen. Insofern kann ich das einigermaßen vor mir rechtfertigen. Aber ich
will nicht verhehlen, dass ich nicht restlos davon überzeugt bin, dass ich
richtig handele.«
Stamm dachte eine Weile nach. »Glauben Sie, dass Angela eher bereit
ist, die Täterschaft ihres Vaters zu akzeptieren, wenn sie es schwarz auf weiß
liest?«, fragte er.
»Ja«, sagte Dr. Terlinden. Sie lächelte zufrieden. »Aber gerade
deshalb wäre es so wichtig, dass Sie zusätzliche Informationen verwenden, die
Sie nicht von mir haben. Angela ist eine intelligente Frau. Sie würde es
registrieren.«
Sie hielt inne, weil die Kellnerin das Bier brachte. Als sie wieder
außer Hörweite war, fragte Stamm: »Und Sie sind sicher, dass Dembski wirklich
der Täter ist?«
»Ja.«
Stamm holte eine Zigarette aus der Packung und rollte sie zwischen
den Fingern hin und her. »Dieser Herr Bach«, sagte er schließlich, »ich krieg
das irgendwie immer noch nicht auf die Reihe, in welchem Verhältnis er zu
Angela steht.«
»Wenn Ihre Frage darauf abzielt, ob er für einen Missbrauch in Frage
kommt, so kann ich das klar verneinen. Er ist ein väterlicher Freund, er
beschützt sie. Welche Umstände dazu geführt haben, dass Angela bei ihm Zuflucht
gesucht hat, weiß ich nicht. Er war in den siebziger und frühen achtziger
Jahren ein einflussreicher Parteifunktionär. Sekretär der FDJ und, so munkeln ältere Warener, für höhere Weihen
bestimmt. Er und Dembski kannten sich natürlich gut. Dann wurde er plötzlich
verhaftet und als Vaterlandsverräter verurteilt. Einige Zeit nach der
Wiedervereinigung tauchte er wieder in Waren auf, immer noch ein
verhältnismäßig junger Mann von gut vierzig Jahren. Er schweigt über die vier,
fünf Jahre, die er verschwunden war.«
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mich mal mit ihm unterhalte?«,
fragte Stamm.
Dr. Silvia Terlinden schloss die Augen und lehnte sich zurück.
Sie verharrte lange in dieser meditativen Position. Dann öffnete sie die Augen
wieder.
»Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Das heißt, im Prinzip habe ich
nichts dagegen. Aber Bach ist kein einfacher Mensch. Ich habe ihn natürlich
über Angelas Wunsch, mit Ihnen zu sprechen, informiert. Obwohl es formal nicht
nötig gewesen wäre. Angela steht nicht unter Betreuung. Es wäre aber meiner
Ansicht nach kontraproduktiv gewesen, die Entscheidung über
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