Soljanka (German Edition)
habe, dann hat Angela ihren Vater
nicht direkt belastet. Wie kommen Sie darauf, dass er der Täter ist?«
»Zum einen die statistische Wahrscheinlichkeit. Zum anderen gab es
speziell in diesem Fall praktisch keine andere Möglichkeit.«
Stamm zündete sich eine Zigarette an und sah sie mit hochgezogenen
Augenbrauen durch den Rauch an.
»Darf ich?« Nach einer entschuldigenden Geste Stamms griff Dr. Terlinden
nach der Packung und ließ sich Feuer geben. »Wie viel wissen Sie vom Leben in
der DDR ?«
»Was man so hört … Nun ja, nichts Genaues. Ich hatte keine
Verwandten in der Zone. Ein Leben hinter Stacheldraht, aber das verdammt
kuschelig, wenn man den Ostalgikern glauben kann.« Er lächelte, als er ihren
irritierten Blick sah. »Ich glaub’s nicht wirklich. Warum erzählen Sie nicht
einfach, worauf Sie hinauswollen?«
»Ich will auf eine These hinaus, die auf den ersten Blick vielleicht
etwas gewagt erscheint. Dass die Menschen hier ein Leben in Freiheit nie
kennengelernt haben, ist eine Binse. Die fünfzehn Jahre Weimarer Republik
fallen psychologisch nicht ins Gewicht. Mir kommt es aber auf einen bestimmten
Aspekt des SED -Regimes an, der regional sehr
unterschiedlich ausgeprägt war. Man kann ihn als Rückfall in den Feudalismus
beschreiben. Hört sich vielleicht widersinnig an im Zusammenhang mit einem
kommunistischen System, aber genau so war es, und zwar überall dort, wo ein
besonders skrupelloser Parteibonze das Sagen hatte. Das musste nicht zwingend
der örtliche Parteisekretär sein, eine Schreckensherrschaft konnte auch von
einer grauen Eminenz ausgehen, die offiziell kaum in Erscheinung trat.«
»Stasi«, stellte Stamm fest.
Dr. Terlinden nickte. »Angelas Vater war so eine graue Eminenz.
Die ganze Gegend zitterte vor ihm, obwohl er kein öffentliches Amt bekleidete.
Hinter vorgehaltener Hand erzählte man sich die schrecklichsten Dinge über
seine Stasi-Vergangenheit.«
»Zum Beispiel?«
»Ach, das spielt hier keine so entscheidende Rolle. Es ging bis zu
Folter und Mord. Ich will da gar keine Einzelheiten wiedergeben, weil ich nicht
aus Waren stamme und vieles erst im Rückblick aus dritter und vierter Hand
gehört habe. Ich nehme auch an, dass da viel übertrieben wurde, letztlich wurde
ihm auch nie etwas nachgewiesen. Aber wie gesagt, das ist gar nicht der Punkt.
Entscheidend ist, und das ist verbürgt, dass die Leute große Angst vor Dembski
hatten. Verstehen Sie, worauf ich hinauswill? Es ist völlig undenkbar, dass
sich jemand an der Tochter eines solchen Mannes vergreift.«
»Es sei denn, er wusste nicht, wer das Mädchen ist. Oder aus Rache.«
Die Ärztin wartete mit ihrer Erwiderung, weil die Kellnerin mit
Stamms Maräne nahte.
Nachdem sie mit einer Bestellung für zwei weitere Pils wieder
gegangen war, sagte Dr. Terlinden: »Beides scheidet aus, denn wir haben es
hier ohne jeden Zweifel mit fortwährendem Missbrauch über einen längeren
Zeitraum zu tun.«
»Nun gut«, sagte Stamm, während er seinen Fisch zerlegte, »das
leuchtet mir ein. Für eine Verurteilung reicht Ihre Schlussfolgerung aber bei
Weitem nicht aus.«
»Keine Frage, aber er muss ja auch nicht mehr verurteilt werden. Ich
will Ihnen nur plausibel machen, was hier vermutlich passiert ist.«
Stamm aß einen Bissen Fisch und kaute prüfend. Dann schob er etwas
Wintersalat nach. Beides war nicht schlecht, aber die sauer eingelegten grünen
Bohnen im Salat überlagerten den Geschmack der Maräne. Er entschloss sich zu
einer spontanen Trennkost und machte sich zunächst über den Salat her. Er
beeilte sich, damit der Fisch nicht völlig abkühlte, wodurch das Gespräch ins
Stocken geriet.
Als er mit dem Salat fertig war, fragte er: »Welche Funktion hatte
dieser gefährliche Herr … wie hieß er noch … Dembski eigentlich?«
Dr. Terlinden lächelte, als wollte sie sich dafür
entschuldigen, dass sie sich verplappert hatte. »Schon mal was von der
Kommerziellen Koordinierung gehört?«
Stamm schüttelte kauend den Kopf.
»Aber Schalck-Golodkowski sagt Ihnen was?«
»Ach der! Klar, den kennt man. Der Devisenbringer. Aber irgendwie
scheint mir seine Truppe einen anderen Namen … Warten Sie, ich komme gleich
drauf.«
»KoKo.«
»Das war’s. KoKo. Ach so, das stand wohl für Kommerzielle
Koordinierung. Sehen Sie, das hab ich nicht gewusst. Und bei dem Verein war
Dembski?«
»Geschäftsführer mehrerer KoKo-Firmen, in der Hierarchie gleich
hinter Schalck, so eine Art regionaler Statthalter. Fragen Sie
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