Soljanka (German Edition)
Dutzend gedrungener Hochlandrinder sein
Frühstück. Die letzten drei in der Reihe hatten noch nichts in der Krippe und
protestierten ungeduldig gegen die Ungleichbehandlung. Bach ließ sie nicht
warten und schaufelte ihnen mit der Forke duftendes Heu vor die hungrigen
Mäuler.
»Es war nicht meine Idee, Sie herzuholen.«
»Ich habe mich auch nicht danach gedrängt«, sagte Stamm, während er
einen Schritt zurücktrat, um den Radius der Forke zu verlassen. »Es war Angelas
Wunsch, wenn ich das richtig verstanden habe.«
Bach richtete sich auf, vergewisserte sich mit einem prüfenden
Blick, dass alle Tiere versorgt waren, und lehnte die Forke gegen den
Heuschober. Er zog die Arbeitshandschuhe aus und legte sie daneben.
»Lassen Sie uns ins Haus gehen«, sagte er schließlich. Er ging zur
Tür, ohne sich darum zu kümmern, ob Stamm ihm folgte.
Der ließ sich jedoch nicht zweimal auffordern, die durchdringende
Kälte des Kuhstalles zu verlassen. Auf der Fußmatte vor der Haustür streifte
Bach seine Gummistiefel ab. Stamm überlegte kurz, ob er seine Schuhe auch
ausziehen sollte, doch dann erschien ihm die Geste zu vertraulich. Er begnügte
sich damit, ein paarmal aufzustampfen und den Schnee aus den Profilrillen zu
klopfen.
In der Küche bot ihm Bach Kaffee aus einer Thermoskanne an, den
Stamm dankend annahm. Bach holte von der Anrichte zwei seltsame Zinnbecher mit
Henkel und eingraviertem Drachenmotiv und füllte sie mit dampfendem und kräftig
duftendem Kaffee. Dann war Stamm am Zug. Bach tat ihm nicht den Gefallen, das
Gespräch zu eröffnen, wies nur schweigend auf einen der vier derben Holzstühle
am Küchentisch hin und setzte sich selbst.
Stamm hatte das Gefühl, dass es keine gute Idee wäre, lange um den
heißen Brei herumzureden.
»Frau Dr. Terlinden hat mir gestern Abend in groben Zügen
Angelas Geschichte erzählt. Es gab darin aber ein paar Lücken, die ich gern
füllen würde. Sie betreffen Angelas Vater und Sie.«
Bach betrachtete ihn ruhig, die Mundwinkel ein wenig abfällig nach
unten gezogen.
»Was haben Sie vor?«, fragte er einsilbig.
»Ich will mich zunächst einfach nur informieren. Vielleicht kommt am
Ende ein Artikel heraus. Vielleicht sogar einer, der Angela hilft. Dr. Terlinden
hat da ihre Vorstellungen. Sie will, dass Angela die Täterschaft ihres Vaters
akzeptiert, und glaubt, dass es hilft, wenn sie etwas in der Richtung schwarz
auf weiß lesen würde. Sie können Dembski doch auch nicht für unschuldig halten,
wo Sie Angela doch quasi befreit haben.« Er sah Bach eine Weile an. »Warum
haben Sie das eigentlich getan?«
Bach erwiderte Stamms Blick, gelangweilt, wie es schien.
»Hätt ich sie vor die Hunde gehen lassen sollen?«, fragte er
schließlich.
»Wäre sie denn vor die Hunde gegangen?«
»Sie haben doch mit Frau Dr. Terlinden gesprochen.«
»Schon, aber ich weiß nicht, ob Sie ihre Auffassung teilen.«
»Über Dembski?« Bach zog einen Mundwinkel hoch, Millimeter nur, aber
angesichts der bis dahin makellosen Ausdruckslosigkeit in Bachs Mimik wirkte
die Bewegung alarmierend. »Hundertprozentig. Die mieseste Ratte, die Waren im
letzten Jahrhundert gesehen hat.«
Stamm starrte sein Gegenüber ein paar Sekunden fasziniert an. Dann
hatte er seine Gedanken wieder beisammen.
»War es nicht riskant, sich mit so jemandem anzulegen?«, fragte er.
»Nicht besonders«, sagte Bach. Jetzt glaubte Stamm hinter dem
dichten Vollbart sogar so etwas wie ein Lächeln zu erkennen. »Ich war
unverwundbar.«
»Ach ja?«
»Dembski konnte mir nichts anhaben. Nicht mehr ’93. Er wäre über die
Wupper gegangen, wenn er es versucht hätte.«
Stamm wartete ein paar Sekunden, als Bach nicht fortfuhr, fragte er:
»Was hatten Sie gegen ihn in der Hand?«
Jetzt lächelte Bach, nicht fröhlich, aber deutlich erkennbar.
»Zweiundzwanzig Schreibmaschinenseiten, die ein Rechtsanwalt meines Vertrauens
für mich verwahrt hat.«
»Deren Inhalt er wahrscheinlich der Justiz übergeben sollte, falls
Ihnen was zustößt. Dembskis gesammelte Schweinereien.«
Bach nickte bedächtig. »So ungefähr. Na ja, nicht die ganzen
Schweinereien, die hätte nur Dembski selbst zusammenstellen können. Und die
hätten auch weit mehr als zweiundzwanzig Seiten gefüllt. Nur was ich wusste,
was vermutlich wenig genug war. Aber für eine Lebensversicherung reichte es.«
Stamm trank einen Schluck kalten Kaffee.
»Könnte ich diese zweiundzwanzig Seiten mal lesen?«, fragte er
unvermittelt.
»Wozu?«, fragte
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