Soljanka (German Edition)
ordentlich, wobei die ausgeprägte
Restsüße des Rieslings die herbe Note für Stamms Geschmack ein bisschen zu sehr
dominierte. Während des Essens gab sich das aber. Die Mango und der braune
Zucker, der noch über die panierten Brötchen gestreut wurde, ließen die Süße
des Weins verblassen.
»Schmeckt sensationell«, sagte er nach dem zweiten Bissen.
Eva sah ihn zweifelnd an, als könne sie sich nicht entscheiden, ob
sie sich über das Lob freuen oder über seinen überraschten Ausdruck ärgern
sollte.
»Ich find’s ehrlich gesagt auch ganz gut«, sagte sie zurückhaltend.
Während Stamm seine Scheiben in Nullkommanichts vom Teller getilgt
hatte, kaute sie vorsichtig, zaghaft in sich hineinhorchend, ob ihr Magen die
Belastung vertrug. Er stand auf und holte sich einen Nachschlag vom Herd.
»Ist eigentlich irgendwas passiert?«, fragte Eva.
»Weil ich so früh da bin?« Stamm setzte sich wieder. »Ein bisschen
Überstundenausgleich. Ich muss morgen wieder nach Mecklenburg.« Die Heiterkeit
verschwand augenblicklich aus ihrem Gesicht. »Ich weiß, ich weiß, ich hab auch
keine Lust, aber ich kann’s nicht umgehen, wenn ich in dieser Geschichte
weiterkommen will.«
Er erzählte ihr, was er bisher herausbekommen hatte. »Noch ist das
aber alles nicht rund. Es gibt viel zu viele offene Fragen. Dieser Typ müsste
ein paar Antworten haben.«
»Hat er kein Telefon?«, fragte Eva matt. Sie hatte das Besteck
beiseitegelegt.
»Das ist kein Gespräch, das du am Telefon führen kannst. Ich werde
mir wohl ein paar Schauplätze anschauen müssen, wahrscheinlich ergeben sich
auch weitere Anhaltspunkte, denen man an Ort und Stelle nachgehen muss.«
»Heißt das, es kann länger dauern?«
»Ich hoffe, dass ich übermorgen wieder da bin.«
»Das heißt, es können auch zwei oder drei Tage werden.« Sie nahm
ihre Gabel wieder auf und stocherte lustlos in ihrem Essen.
»Ganz ausschließen kann ich es nicht«, gab Stamm zu.
Eva dachte eine Weile mit gesenktem Kopf nach. Dann gab sie sich
einen Ruck. »Kann ich nicht mitkommen?«, fragte sie. »Zwei Tage und womöglich
zwei Nächte hier allein, da habe ich einen echten Horror vor.«
Stamm sah sie überrascht an. »Traust du dir das denn zu? Ich meine,
wir sitzen sechs, sieben Stunden im Auto.«
»Wird schon gehen, es gibt dort ja keine kurvigen Gebirgsstraßen.«
Stamm sah sie prüfend an. Dann lächelte er. »Wenn ich es mir genau
überlege, ist das eine richtig gute Idee.«
Sie lächelte zurück. Mit frischem Appetit aßen sie zu Ende und
knabberten anschließend am Käse, den Stamm mitgebracht hatte. Dabei kam die
Süße des Weins wieder stärker zur Geltung. Da Eva nur ihre Lippen mit dem Wein
benetzte, konnte Stamm den harmonischen Zweiklang in vollen Zügen auskosten,
bis die Flasche leer war.
ACHT
Über Nacht war es noch einmal richtig kalt geworden. Das
Thermometer blieb konsequent unter dem Gefrierpunkt, aber wenigstens war es
trocken. Sie kamen gut durch. Dank einiger Kaugummis blieb Eva von Übelkeit
weitgehend verschont. Um ganz auf Nummer sicher zu gehen, hatte sie für die
Fahrt Butterbrote geschmiert, damit sie gefährliche Hungergefühle jederzeit
bekämpfen konnte. Ein angenehmer Nebeneffekt war, dass sie sich längere Essenspausen
sparen konnten und nur zweimal kurz halten mussten, um sich die Beine zu
vertreten und aufs Klo zu gehen.
Sie kamen bereits um zwei Uhr in Waren an und hatten noch vier
Stunden totzuschlagen, bis Stamm mit dem pensionierten Polizisten Udo März verabredet
war. Die Sonne schien, und Stamm schlug einen Spaziergang zur Müritz vor. Eva
erklärte ihn zunächst für verrückt. Der Frost war noch deutlich durchdringender
als in Düsseldorf, vielleicht weil sie ein ganzes Stück näher an Sibirien
waren. Aber schließlich erklärte sie sich einverstanden. Sie hatten genügend
warme Sachen dabei, um eine Stunde im Freien zu überleben.
Stamm steuerte einen Wanderparkplatz am Rand des Nationalparks an.
Von dort folgten sie einem markierten Weg durch den weißen, lichten Laubwald.
Eine Schar Erlenzeisige, die sich durch die Kälte nicht in ihrer Betriebsamkeit
stören ließen, begleitete sie eine Weile piepsend. Nach einer halben Stunde
erreichten sie das Seeufer. Ein hölzerner Beobachtungsstand bot ihnen etwas
Schutz vor dem schneidenden Wind und einen offenen Blick auf die endlose
Wasserfläche. Es gab allerdings nicht viel zu beobachten. Der See lag erstarrt
vor ihnen. Der Wellengang hatte Eisschollen am Ufer
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