Soljanka (German Edition)
schweren posttraumatischen
Störung, deren Ursprung in ihrer Erinnerung ein ähnlich gelagertes
satanistisches Ritual sein soll. Ich habe ihre Schilderung gehört, es geht
einem durch und durch.«
»Frau Dr. Terlinden hat mir davon berichtet«, sagte März.
»Armes Mädchen.« Er klang bekümmert, aber auch zurückhaltend. Er schien von der
Satanistenvariante nicht recht überzeugt zu sein.
»Zwischenzeitlich habe ich aber mit Erika Dembski, Angelas Mutter,
gesprochen«, fuhr Stamm fort. »Und sie bestritt vehement, dass es diese
satanistische Szene gegeben hat. Sie glaubt, dass Angelas Vergewaltigung der
Auslöser für ihre Erkrankung ist. Und sie hat mir von Rico Fentens Selbstmord
erzählt, der den Fall so furchtbar elegant gelöst hat.« Stamm glaubte, unter
März’ Schnurrbart die Andeutung eines Lächelns zu erkennen. »Ich will auch
nicht verschweigen, dass auch der Umstand, dass Angelas Vater eine so
schillernde Figur war, mein Interesse geweckt hat.«
Bevor März etwas erwidern konnte, ging die Tür auf, und eine Frau
kam herein, konzentriert ein volles Tablett balancierend. Sie war bestimmt
zwanzig Jahre jünger als ihr Mann, kräftig gebaut, aber mit einem hübschen,
runden Gesicht. Sie stellte das Tablett auf dem Tisch ab und reichte Stamm und
Eva die Hand.
»Haben Sie sich ein wenig aufgewärmt?«, fragte sie. Auch ihre
Sprachfärbung war norddeutsch, aber irgendwie anders als bei ihrem Mann.
»Noch nicht ganz«, sagte Eva. »Ein Tee ist jetzt genau das
Richtige.«
Frau März verteilte drei Tassen mit blauem Friesenmuster vor Eva,
Stamm und ihren Mann, stellte einen Teller mit offensichtlich selbst gebackenen
Plätzchen in die Mitte und goss aromatisch duftenden Tee ein.
»Ich hoffe, Sie mögen das«, sagte sie. »Ostfriesenmischung mit
Sanddorn. Stärkt das Immunsystem.«
»Riecht wunderbar«, sagte Stamm. Frau März lächelte ihn an und zog
sich dann wieder zurück.
Als alle ihren Tee mit Zucker und/oder Milch versetzt hatten, kam
März ohne Umschweife zur Sache. »Sie wollen herausfinden, ob sich die Sache für
das Magazin lohnt.«
Stamm sah ihn verblüfft an. Der Pensionär hatte seine berufsbedingte
schnelle Auffassungsgabe offensichtlich noch nicht eingebüßt. »Wenn Sie mich so
direkt fragen: Ja.«
Er machte eine Pause, aber März stieg nicht darauf ein. Er musterte
Stamm schweigend und ausdruckslos.
»Beim momentanen Erkenntnisstand habe ich keine Geschichte«, fuhr
Stamm fort. »Wenn Sie mir sagen, ja, Angela Dembski ist von Rico Fenten
vergewaltigt worden, er hat sich selbst die gerechte Strafe zugefügt, und mehr
war nicht – dann hat sich die Sache für mich erledigt, so leid es mir für
Angela tut.«
Udo März nippte an seiner Tasse und betrachtete nachdenklich die
braune Flüssigkeit. Schließlich sagte er: »Niemand weiß genau, was damals
passiert ist. Wir haben den Fall abgeschlossen, weil es die Beweislage
erforderte. Der Junge hatte einen Abschiedsbrief hinterlassen, in dem er die
Vergewaltigung zugab. Es gab auch andere Indizien, die für diesen Hergang
sprachen.«
Stamm betrachtete ihn geduldig, aber März rührte langsam in seiner
Tasse, ohne aufzublicken. Stamm entschloss sich zu einem Vorstoß.
»Aber Sie hatten kein gutes Gefühl dabei.«
März blickte endlich auf. »Bevor wir hier weitermachen, sollten wir
uns über ein paar grundlegende Dinge verständigen. Ich bin auch als Pensionär
meinem Amtseid verpflichtet. Ich darf Ihnen ohne Zustimmung der Behördenleitung
keine Auskunft zu Hintergründen von Ermittlungsverfahren geben. Wenn wir
trotzdem hier zusammensitzen, hat das drei Gründe. Erstens weil mich Frau Dr.
Terlinden gefragt hat, die ich im Zuge unserer gelegentlichen Zusammenarbeit
schätzen gelernt habe. Zweitens war ich tief betroffen, als ich erfahren habe,
dass Angela Dembski immer noch so sehr unter den Ereignissen von damals leidet.
Und drittens … aber bevor ich Ihnen meinen dritten Grund nenne, brauche ich
Ihre Zusicherung, dass ich in einem etwaigen Artikel im Magazin nicht auftauchen
werde.«
Stamm nickte leicht. »Können wir es so machen, dass Sie vor einer
möglichen Veröffentlichung den Text zu sehen bekommen und wir darüber reden?
Das sichere ich Ihnen zu. Dass Sie gar nicht vorkommen, kann ich Ihnen
redlicherweise nicht blanko versprechen. Immerhin haben Sie seinerzeit die
Ermittlungen geleitet, oder?« März nickte. »Insofern würde es sich geradezu
aufdrängen, Sie zu befragen. Nur über das, was Sie offiziell sagen,
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