Soljanka (German Edition)
direkte Frage stellen?« Er wartete nicht auf ihre Antwort. »Wussten Sie,
dass Rico und Ihre Tochter Birgit ein Paar waren?« Wieder blieb es eine Weile
still in der Leitung. Nach endlosen Sekunden hakte Stamm nach. »Es stimmt
also.«
»Ich wusste es nicht«, sagte Erika Dembski. »Birgit hat nie darüber
gesprochen. Aber ich hatte so ein Gefühl. Die Fentens wussten also Bescheid?«
»Der Pfarrer nicht. Aber seine Frau. Sie hat es kurz vor Ricos Tod
in Erfahrung gebracht. Die beiden haben ihre Beziehung aus Angst wegen der
Familienfeindschaft geheim gehalten. Rico hat es der Polizei nicht einmal
erzählt, als er schon unter Verdacht stand. Dabei hätte ihn das entlasten
können. Anscheinend war er in der Zeit, als Angela vergewaltigt wurde, mit
Birgit zusammen. Frau Fenten hatte ihn endlich so weit, dass er sich der
Polizei offenbart, doch er kam nicht mehr dazu. Frau Dembski, das klingt nicht
so, als habe Rico Selbstmord begangen.«
»Ich weiß nicht, was damals passiert ist.« Ihre Stimme überschlug
sich. »Warum erzählen Sie mir das alles?«
»Ich dachte, es würde Sie vielleicht interessieren«, sagte Stamm
kalt. »Wollen Sie denn nicht wissen, was wirklich passiert ist?« Nach einer
Weile fügte er versöhnlich hinzu: »Frau Dembski, ich muss Birgit finden. Sie
müsste Licht ins Dunkel bringen können. Haben Sie wirklich keinen Anhaltspunkt,
wo sie sich aufhalten könnte?«
Stamm meinte, ein unterdrücktes Schluchzen zu hören. Dann war Erika
Dembskis Stimme aber doch überraschend klar. »Ich habe Ihnen doch schon gesagt,
ich habe seit … ich weiß gar nicht mehr genau, wie lange … seit sie plötzlich
verschwunden ist, habe ich nichts mehr von ihr gehört. Ich weiß nicht einmal,
ob sie noch lebt.«
»Nun, dafür spricht schon einiges. Wie ich gehört habe, meldet sie
sich ab und zu bei Angela. Aber auch die Therapeutin hat keinerlei
Kontaktdaten. Was ich nicht verstehe: Haben Sie denn damals gar nicht nach ihr
gesucht? Ich meine, sie war doch noch keine zwanzig, als sie verschwand. Und es
ist doch heutzutage, wo man sich bei allen möglichen Gelegenheiten ausweisen
muss, nicht so einfach unterzutauchen. Jemand mit den Verbindungen Ihres Mannes
sollte doch keine Mühe haben, sie aufzuspüren.«
»Wenn er gewollt hätte, vielleicht. Kann sogar sein, dass er wusste,
wohin sie ist. Mir hat er aber jedenfalls nichts gesagt. Ich habe ihn oft genug
gebeten, nach Birgit zu suchen, aber er hat sich geweigert. Hat behauptet, er
könne da nichts machen und wolle es auch nicht. Wenn Birgit meine, sie müsste
sich so aus dem Staub machen, dann solle sie auch zusehen, wie sie klarkommt.
Ehrlich gesagt, ich habe ihm nicht geglaubt, aber was sollte ich machen?«
Stamm blies die Backen auf und starrte mit verdrehten Augen die
Decke an.
»Okay, Frau Dembski, dann muss ich es irgendwie anders versuchen.
Nur eine Frage noch. Sie sagten, Sie hätten so ein Gefühl gehabt, dass da mit
Birgit und Rico Fenten etwas wäre. Woher rührte dieses Gefühl?«
Hier musste Erika Dembski nicht lange überlegen. »Birgits Reaktion,
als Rico Fenten in Verdacht geriet. Es war nicht zu übersehen, dass sie das
sehr stark berührte. Da macht man sich seine Gedanken. Das war eigentlich der
Punkt, an dem ich angefangen habe, sie zu verlieren.«
Stamm bat sie, ihn sofort anzurufen, wenn ihr ein Anhaltspunkt
einfiele, der helfen konnte, Birgit aufzuspüren, und legte schnell auf. Dann
rief er Dr. Terlinden in Waren an.
»Wie geht’s unserer Patientin?«, fragte er und merkte im selben
Moment, dass er einen unangemessen vertraulichen Zungenschlag gewählt hatte.
»Haben wir eine gemeinsame Patientin?«, fragte Dr. Terlinden
spitz.
»Entschuldigung. Eine Floskel. Gibt’s ein Problem?«
»Ich muss mich nur gelegentlich selbst an die ärztliche
Schweigepflicht erinnern«, sagte Dr. Terlinden seufzend. »Auch wenn ich
Ihnen aus ganz speziellen Erwägungen heraus einen gewissen Einblick in die
Krankengeschichte einer Patientin eingeräumt habe, heißt das noch nicht, dass
ihre Akte nun Allgemeingut ist.«
»Okay, vergessen Sie’s!«, sagte Stamm genervt. »Das ist gar nicht
der Grund meines Anrufs. Mir geht’s um Angelas Schwester. Ich muss sie finden
und mit ihr reden. Hat sie sich in letzter Zeit gemeldet?«
»Nein.«
»Wenn sie es tut, könnten Sie sie fragen, ob sie bereit ist, sich
mit mir zu unterhalten? Es gibt neue Erkenntnisse, die zur Lösung des Falles
beitragen könnten. Und ich könnte mir vorstellen, dass sie
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