Soljanka (German Edition)
Sie sich an den Gedanken gewöhnen, dass ich zu blöd sein
könnte, einen Artikel richtig zu lesen. Ich schlage vor, Sie schauen sich den
Spiegel-Beitrag an und rufen mich unverzüglich zurück. Welche Düsseldorfer
Zeitung hat das Thema noch gebracht? Nur damit wir gleich denselben
Wissensstand haben.«
»Alle«, murmelte Stamm. »Die Westdeutsche Zeitung steigt am tiefsten
ein, die Rheinische Post wiegelt am konsequentesten ab.«
»In zehn Minuten erwarte ich Ihren Anruf.«
Hanne Lohmeyer hatte ihr Telefonat beendet und betrachtete Stamm
sorgenvoll.
»Perschke«, sagte Stamm. »Die Hochhaus-Story ist auf Spiegel online.
Er will wissen, warum wir nichts haben. Hört sich an, als wisse der Spiegel
mehr als die Tageszeitungen. Ich soll mir den Artikel ansehen und ihn
zurückrufen.«
»Lass mal sehen«, sagte Hanne, während sie aufstand und hinter
Stamms Stuhl trat.
Er rief Spiegel online auf. Es war nicht der erste, aber immerhin
der dritte Artikel auf der Homepage. »Schmutzige Baugeschäfte?«, lautete die
Schlagzeile. Die Unterzeile hatte es in sich. » LKA nimmt im Zusammenhang mit einem Mordfall Hochhaus-Projekt in Düsseldorf unter
die Lupe. Soll Geld der Russen-Mafia in der NRW -Hauptstadt
gewaschen werden?«
» LKA ?«, fragte Hanne.
»Hör ich zum ersten Mal«, erwiderte Stamm.
Sie lasen weiter, viel mehr Neues kam aber nicht. Der Spiegel
schilderte im Großen und Ganzen das, was der Express am Samstag angedeutet
hatte. Allerdings hatte er aus einer inoffiziellen Quelle beim LKA erfahren, dass die Ermittler im Mordfall Nellissen
den Zusammenhang mit mafiösen Strukturen offenbar so ernst nahmen, dass sie die
Abteilung für Organisierte Kriminalität bei der Landespolizei eingeschaltet
hatten. Das war in der Tat handfest genug, um nicht mehr als parteipolitisches
Geplänkel abgetan werden zu können.
»Da müssen wir ran«, sagte Hanne entschieden.
»Wahrscheinlich«, seufzte Stamm. »Willst du Perschke anrufen?«
Hanne trat zwei Schritte vor in Stamms Gesichtsfeld, setzte sich auf
die Schreibtischkante und musterte Stamm.
»Was ist los, Hans?«
»Was soll los sein?«
»Ich weiß nicht, du kommst mir ein bisschen komisch vor.«
»Nur weil ich keinen Bock habe, mir von Perschke die Wurzel
schrubben zu lassen? Sehr komisch, wirklich.«
»Darum geht’s nicht. Ich könnte ihn auch anrufen, hätte ich kein
Problem mit. Aber was soll das? Willst du dich wirklich hinter meinen
Rockschößen verstecken? Ich wundere mich nur, dass du so zögerlich bist. Sieht
dir nicht ähnlich.«
»Ich find halt, dass die Story ziemlich unausgegoren ist. Müssen wir
uns denn auf jede Sau stürzen, die hier durchs Dorf gejagt wird?«, maulte
Stamm.
»Ich kann dir nicht ganz folgen«, sagte Hanne Lohmeyer kühl. »Die
Story ist vielleicht noch in der Anfangsphase. Aber unausgegoren? Wenn das LKA ermittelt? Ich bitte dich! Nun gut, vielleicht
kommt am Ende tatsächlich nichts dabei heraus. Können wir nicht vorhersehen. Im
Moment wird ermittelt, basta. Ruf Perschke an und sag ihm, dass wir spätestens
für die Printausgabe einen Beitrag liefern.«
Sie stand auf und ging wieder zu ihrem Platz. Stamm dachte
fieberhaft nach. Gelegentliche verstohlene Blicke zeigten ihm, dass die
Redaktionsleiterin ihn weiter beobachtete. Leise seufzend griff er zum Telefon
und wählte Perschkes Nummer.
»Nun, Herr Stamm, wer treibt da in Düsseldorf politische Spielchen?
Das LKA ?«
»Vom LKA wussten wir nichts.«
»Warum nicht?«
Stamm schwieg. Doch Perschke ließ so schnell nicht locker.
»Und sind Sie immer noch der Meinung, dass die Sache nur eine lokale
Bewandtnis hat?«
»Ich meine, dass es auf das Ergebnis der Ermittlungen ankommt«,
sagte Stamm trotzig. »Und bislang ist die Faktenlage äußerst dünn, LKA hin oder her. Die Sache ist zunächst mal ein
stinknormaler Mordfall. Ein Privatdetektiv ist getötet worden, und die Polizei
hat keine Spuren. Da taucht ein Bauunternehmer auf und sagt aus, dass er den
Detektiv auf einen Russen angesetzt hat, der offenbar in Düsseldorf ein
größeres Bauprojekt realisieren will. Eine ganz, ganz vage Spur. Es gibt noch
keinen Hinweis, dass der Russe etwas mit dem Tod des Detektivs zu tun haben
könnte. Und selbst wenn er hätte, muss das noch lange nichts mit der
Russenmafia zu tun haben. Der Bauunternehmer weiß rein gar nichts über etwaige
Verbindungen. Solche Zusammenhänge sind pure Spekulation, die dem
Bauunternehmer aber in die Karten spielen, weil er auch ein ähnliches
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