Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?

Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?

Titel: Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmuth Karasek
Vom Netzwerk:
fahren Sie in Gottes Namen ans Meer!«
    Schnorrer: »Das ist zu wenig. Damit kann ich keine Kur in Ostende machen.«
    Baron Pringsheim: »Was? Ein Schnorrer, und will ausgerechnet in das teuerste Kurbad, das es gibt?«
    Darauf der Schnorrer: »Herr Baron, für meine Gesundheit ist mir nichts zu teuer.«
     
    Elliott Oring hat in seinem Buch The Jokes of Sigmund Freud. A Study in Humour and Jewish Identity die Witze, die Freud gesammelt hat, klassifiziert, und zwar nach ihren Themen. Es gäbe da erstens die vom Leihen und Borgen von Geld, also Schnorrer-, Banker- und Geschäftsleutewitze, von denen ja schon die Rede war. Zweitens die Witze über Sex und Ehe. Auf sie werden wir in diesem Kapitel immer wieder zurückkommen müssen. Die von sauber und schmutzig, wobei wir Hygiene schon abgehandelt haben und ich mich in diesem Zusammenhang an Faust, Mephisto und Gretchen erinnere.
    Mephisto führt Faust heimlich zum Spionieren in Gretchens Stube, weil der verehrte Herr Professor und Doktor in ihrem »Dunstkreis weiden« will. Auch da gibt es eine hygienische Feststellung, denn Faust sagt: »Nicht jedes Mädchen hält so rein.« Die vierte Kategorie, die Oring bei Freud aufzeigt, ist die vomReisen. Die, bei der man in eine fremde Welt kommt. Wir haben von der Eisenbahn schon Beispiele geliefert. Es gibt aber auch das Erleben einer fremden, unerwarteten Welt.
     
    Da sitzt, nehmen wir mal an um die Jahrhundertwende vom 19 . ins 20 . Jahrhundert – man muss es nicht datieren –, ein Jude in einem guten englischen Restaurant, und es wird ihm das übliche englische Essen serviert, giftgrüne Bohnen, die man noch dazu mit Messer und Gabel essen muss, Lammbraten mit Yorkshire Pudding und zum Lamm Minzsoße. Er guckt das Essen an, riecht und kostet, rollt die Augen, breitet die Arme aus und stößt gen Himmel (bzw. die Decke des Restaurants) den Stoßseufzer aus: »Aber die Meere beherrschen!«
     
    Muss man dazu wissen, dass Großbritannien damals stolzeste Seemacht der Erde war? Die entsprechende Hymnenzeile dazu hieß: »Rule Britannia! Britannia rule the waves.« Man muss es nicht wissen. Trotzdem ist der Hinweis nützlich, dass die jüdische Ironie sich dabei einen Seufzer leistet: »Die Welt beherrschen – und so einen Fraß essen. Komische Leute, die Engländer!«
     
    Bei diesem Witz fällt mir ein, wie schwer es ist, ohne die Haltung und den Gestus bei einem Witz auszukommen. Es gibt einen typischen Gestus, eine bestimmte Haltung beim jüdischen Witz, man muss sie beim Erzählen nachmachen können. Man könnte sie skeptische Frömmigkeit oder spöttische Gottergebenheit nennen – jedenfalls ein Knecht-Herr-Verhältnis, das aus orientalischen Gottesdiensten zu kommen scheint. Bei dem der Knecht bei all seiner vorgeschützten Ergebenheit sozusagen in Sancho-Pansa-Haltung die Erhabenheit zwischen Himmelund Erde sucht und zerstört. Es ist eine Parodie, wie sie Goethe im Faust zwischen Mephisto als Knecht und Gott als Herrn kopiert. Auch die katholische Welt kennt diese Haltung. Sancho Pansa (Knecht), der Don Quijote (Gott) inmitten seiner komischen Erhabenheit respektiert und zugleich der Lächerlichkeit preisgibt.
    Die Arme werden in einer ergebenen Haltung ausgebreitet, mit nach oben weisenden Handflächen. Der Kopf reckt die Stirn schräg nach oben. Er ist nach oben gerichtet in erwartungsvoll ängstlicher Haltung, nicht ohne ein spöttisches Lächeln in den Mundwinkeln. Die Augen sind rollend nach oben verdreht, die ergebene Mimik ist übertrieben und stellt dadurch die Ergebenheit infrage. Aber die Meere beherrschen.
    Das Gleiche gilt für Marcel Reich-Ranicki im Sommer in Salzburg. Es ist gewittrig-schwül im ORF -Studio, wo, wie damals in jedem August, das Literarische Quartett seine Sommersendung ausstrahlte. Das Studio hatte keine Klimaanlage, sie könnte während der Livesendung wegen des Lärms auch nicht angestellt bleiben. So ist die Kuppel leicht geöffnet, um die Schwüle durch einen leichten Luftzug von oben zu mildern.
     
    MRR fällt, auch das wie üblich, über ein Buch von Martin Walser her: lange, wortreich, vorwurfsvoll, laut. Es wirkt wie eine Hinrichtung.
    Da, plötzlich muss ein Gewitter ausgebrochen sein, hört man aus der Kuppel ein Grummeln, ein Grollen, dann einen lauten Donnerschlag. Und MRR hebt den Kopf, reckt die Arme mit geöffneten Handflächen gen Himmel (als wäre die Kuppel die einer barocken Kirche) und kräht in komisch entrüsteter (natürlich gespielter) Verzweiflung des

Weitere Kostenlose Bücher