Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?
und bevor sie sich auszieht, schließt sie einen rotenSamtvorhang um den hohen Käfig. Und zieht ihn am nächsten Morgen, nachdem sie sich angezogen hat, wieder auf. So geht das Tag um Tag.
Eines Tages jedoch lernt sie einen jungen Mann kennen und lieben, der nur tagsüber für sie Zeit hat. Vielleicht, aber darüber schweigt sich die Geschichte aus, ist er verheiratet.
Er kommt also manchmal am Vormittag, manchmal am Nachmittag, schließlich des Öfteren sowohl am Vormittag wie auch am Nachmittag. Jedes Mal, wenn er seine Freundin zu Hause besucht, geht die vor wie beim abendlichen Zubettgehen. Sie zieht die samtene Gardine um den Papagei zu.
Als das immer öfter passiert, seufzt der Papagei, als es gegen elf Uhr vormittags wieder so weit ist:
»Again! What a short fucking day!«
Auf Deutsch funktioniert er erst in der jüngsten Phase der Anglizismen, wo der Papagei nicht mehr wie früher »Was für ein kurzer Scheißtag!« gestöhnt und geflucht hätte, sondern durchaus in der Lage ist zu sagen: »Was für ein kurzer verfickter Tag!«
Papageien fungieren in manchen Witzen für ihre Besitzer auch als Alarmanlagen, die gewünschte und unerwünschte Besucher aufgeregt kreischend begrüßen. Wie zum Beispiel in dem folgenden Einbrecherwitz:
Des Nachts dringt ein Einbrecher in eine Villa ein.
Plötzlich kreischt im Dunkel eine Stimme auf.
»Jesus und ich sehen dich!«
Der Einbrecher richtet seine Taschenlampe in Richtung
Geschrei, sieht einen Papagei und fragt:
»Wie heißt denn du?«
»Lazarus«, sagt der Papagei.
»Das ist aber ein dämlicher Name für einen Papagei«, sagt der Einbrecher.
»Nicht so dämlich wie Jesus für einen Pitbull!«
Der Witz bedient eine gemeine Schadenfreude, die auch dadurch kaum gemindert wird, dass die Strafe, die den Einbrecher gleich durch einen Biss ereilen wird, so weiß der Zuhörer ohne Worte, gerecht ist. Es ist sozusagen eine akustische und heimtückische Variante des Schildes: »Vorsicht, bissiger Hund!«
Papageien aber können nicht nur durch ihre Vulgarität für Ungemach sorgen. So gibt es aus seligen DDR -Zeiten und unseligen Stasizeiten die folgende Papageiengeschichte:
Kommt ein Mann zur örtlichen Kreisdienststelle und sagt: »Ich möchte melden, dass mir mein Papagei entflogen ist.« Schnauzt ihn der Stasioffizier an: »Und was ham wir damit zu tun? Das hier ist kein Fundbüro, sondern das Amt für Staatssicherheit!«
»Eben, eben«, sagt der Mann. »Ich möchte Ihnen nur sagen, dass ich die politischen Ansichten meines Papageis in keinster Weise teile.«
Papageien werden alt, sehr, sehr alt. Da kann es schon sein, dass sich im Laufe ihres Lebens die Welt verändert, sowohl was die Sprache, die Moral als auch die politischen Verhältnisse betrifft.
Davon erzählt die wahre (wenigstens in britischen Zeitungen als wahr tradierte) Geschichte des Papageis von Winston Churchill, des eisernen Kriegspremiers Großbritanniens während des Zweiten Weltkriegs (von ihm wurde übrigens der Begriff »Eiserner Vorhang« geprägt, der sich nach 1945 über Europa senkte).
Churchill also hatte sich 1937 einen Papagei zugelegt, den er »Charlie« nannte, obwohl es sich um eine Papageiendame handelte. In den harten Kriegszeiten, als Churchill zuerst ganz allein gegen Nazideutschland dastand, weil Hitler Europa durch die »Blitzkriege« fast vollständig unter seine Herrschaft gebracht hatte, war ihm »Charlie« offensichtlich ein wichtiger Gefährte, der ihm Kraft und Mut spendete. Dazu hatte Churchill dem Vogel die aufmunternden Flüche »Fuck the Nazis!«, »Fuck Hitler!« beigebracht, sodass der Vogel – auch in Gesellschaft – Churchills unverblümte Überzeugung gültig und knapp zum Ausdruck bringen konnte.
Der große britische Staatsmann, ungebrochen auch in seinen letzten Rollstuhl-Jahren, starb 1965 . Seine Devise »No sports. Always cigars and whisky« überlebte ihn. Für seine Kriegserinnerungen hat er immerhin den Nobelpreis für Literatur im Jahr 1953 erhalten.
Sein Papagei überlebte ihn. Wenn man den Quellen glauben darf, lebt er immer noch. Und flucht noch immer in Churchills unverwechselbarem Tonfall: »Fuck Hitler!«, »Fuck the Nazis!« Kein Witz, aber doch sehr witzig, auch als lebendiger, ungebrochener Anachronismus.
Hier noch eine Eiergeschichte aus der Churchill-Zeit, aus der Nachkriegszeit. Wir alle wissen, was Kuckuckseier sind, wortwörtlich und übertragen. Da gibt es den folgenden Witz über die Besatzungszeit, in der, vor
Weitere Kostenlose Bücher