Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)
schlief tief und fest, in Seitenlage, eine Brust unschuldig den Blicken preisgegeben. Eine Schönheit in den besten Jahren, dachte Bond, während er in seine Hose stieg und an das letzte Mal zurückdachte, als er mit einer Frau zusammen gewesen war – wie viele Wochen war das schon her und wie grundverschieden seine damalige Partnerin von dieser hier war, in beinahe jeder Hinsicht. Er lief barfuß zur Tür und drehte behutsam den Griff, in Gedanken noch bei diesem Rasthaus am Rande des Zanza-Deltas, mit Blessing Ogilvy-Grant in seinen Armen. Er lächelte, nicht ohne Bitterkeit – dort hatte sein ganzes Missgeschick begonnen.
Er ließ die Schlafzimmertür einen winzigen Spalt breit offen und ging nach unten in Bryce’ Arbeitszimmer. Dort schaltete er das Licht an, setzte sich an den Schreibtisch und holte ihren Pass aus der obersten Schublade. Das Geburtsdatum passte einigermaßen – und er hatte beileibe nichts dagegen, sich ein paar Jahre jünger zu machen. Der Vorname war sowohl weiblich als auch männlich. Er musste nur noch das Foto austauschen und die Geschlechtsbezeichnung ändern lassen – und er wusste bereits, wen er damit beauftragen würde. Dann würde aus ihm Bryce Fitzjohn werden, von Beruf »Schauspieler«. Die Endsilbe »-in« konnte leicht verdeckt werden. Bond steckte den Pass in die hintere Hosentasche und ging ins Wohnzimmer, wo er sich einen Schluck Brandy einschenkte. Mit dem Rücken zum Kamin, wo noch die Glut schwelte, nippte er daran und rief sich entspannt ihren gemeinsamen Abend in Erinnerung.
Bond hatte am Bahnhof von Richmond ein Taxi genommen und war pünktlich eingetroffen. Als Bryce ihm die Tür aufmachte, küsste sie ihn auf die Wange, was Bond als gutes Zeichen wertete. Sie duftete nach Shalimar und trug ein knapp knielanges schwarzes Samtkleid mit tiefem U-A usschnitt. An ihren Ohren glitzerten zwei Diamanten, und das dicke blonde Haar war lässig zurückgekämmt. Im Wohnzimmer stand ein Eiskühler mit einer Flasche Taittinger bereit, die Bond gleich öffnen sollte. Sie prosteten sich gegenseitig zu, genau wie damals im Speisesaal des Dorchester.
»Auf Einbruch und Diebstahl«, sagte Bryce.
»Wo genau ist dein kleines Lokal?«, fragte Bond. »Wir wollen uns doch nicht verspäten.«
»Es ist praktisch um die Ecke, aber ich dachte, es ist netter, wenn wir zu Hause essen.«
Beide wussten genau, wie der Abend später verlaufen würde, und das verlieh ihrem Gespräch eine angenehm sinnliche Spannung, während sie das Essen verzehrten, das Bryce für ihn zubereitet hatte – ein blutiges Filetsteak mit Tomaten-Schalotten-Salat, dazu ein leichter, fruchtiger Chianti, und zum Dessert eine dünne Scheibe zitronige Torta della Nonna.
Sie hatten ein gewisses Alter erreicht, waren weltklug und kultiviert, dachte er unterdessen, und Bryce’ sexueller Erfahrungsschatz war sicher genauso reich und vielfältig wie der seine. Vielleicht auch nur annähernd so reich … Jedenfalls mussten sie hier nicht so tun als ob, überlegte Bond, als er sie die Teller abräumen sah. Sie mussten sich nicht künstlich umwerben oder ein langwieriges Vorspiel veranstalten. Ihr beiderseitiges Begehren war stark und echt, wie üblich bei Männern und Frauen, die ihrem Instinkt folgen, und sie würden ihm freimütig, ohne Umschweife und lustvoll nachgeben.
Nach dem Essen gingen sie ins Wohnzimmer, wo Bond das Feuer entzündete. Sie tranken Brandy, rauchten und unterhielten sich – so zögerten sie genüsslich den Moment hinaus, den sie beide herbeisehnten. Er bemerkte, wie der Klang ihrer Stimme sich änderte, tiefer, heiserer wurde, als sie ihm vom desaströsen Ende ihrer letzten Ehe – sie war zweimal verheiratet gewesen – mit einem amerikanischen Filmproduzenten erzählte, der, wie sich später herausstellte, schwer drogenabhängig war. Zunächst glaubte er, sie wäre von ihren Erinnerungen überwältigt, aber er begriff rasch, dass ihr raues Timbre vom Verlangen herrührte. Es war ein Signal, und als Bond auf sie zuging, erwiderte sie seinen Kuss mit verblüffender Inbrunst.
Sie liebten sich mit Bedacht in ihrem breiten Bett, und er weidete sich an Bryce’ weichem, reifem Körper. Danach schickte sie ihn in die Küche, um noch eine Flasche Champagner zu holen, und dann tranken und plauderten sie einfach weiter.
»Du gibst dich als ›Geschäftsmann‹ aus«, sagte sie und musterte seine schlanke Gestalt. »Import-Export, was immer das heißt. Aber du hast mehr Narben am Leib als ein
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