Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)
benutzt, Anfang der 1950er Jahre auf einer langen Zugreise von New York nach St. Petersburg, Florida. Damals hieß er John Bryce, und alles hatte reibungslos geklappt. Hoffentlich würde Bryce Fitzjohn sich genauso bewähren. Bond hatte indes das Gefühl, dass ihm sein neuer Name Glück bringen würde.
Von Dennis’ Wohnung aus begab er sich umgehend zum BOAC -Schalter an der Victoria Station und buchte einen Rückflug erster Klasse nach Washington, D.C. , Abflug am nächsten Tag um 11.30 Uhr in Heathrow. Erste Klasse mutete vielleicht verschwenderisch an, doch obwohl Bond bereits überdurchschnittlich oft gereist war, flog er nicht besonders gern. Je mehr man ihn an Bord eines Flugzeugs umsorgte und verwöhnte, desto leichter ertrug er mögliche Turbulenzen oder Unwetterzonen. Und wenn man sich schon mal dafür entschieden hatte, »solo« zu agieren, konnte man es ruhig im großen Stil tun.
TEIL VIER:
LAND DER FREIEN
1. Bloater
Bond sah aus dem ovalen Fenster, als die Maschine ihren Anflug auf den Dulles International Airport, Washington, D.C., begann. Der Himmel war so klar, dass sich ein wunderbarer Blick auf die Hauptstadt der Vereinigten Staaten von Amerika bot, während das Flugzeug im sanften Kurvenflug herabsank. Washington lag in weiter Ferne unter ihm – die Flughöhe betrug immer noch mehrere Tausend Fuß – , dennoch konnte Bond dank der günstigen Lichtverhältnisse die Wahrzeichen der Stadt erkennen: die Kathedrale, die Georgetown University, das Kapitol, das Weiße Haus, den gewaltigen Obelisken des Washington Monument, das Tidal Basin, die Library of Congress, das Lincoln Memorial. Der umbrabraune Potomac schlängelte sich träge um den westlichen Rand des District of Columbia und floss in die Bucht von Chesapeake hinab, dahinter erstreckten sich die welligen Hügel und Wälder von Virginia bis zu den Blue Ridge Mountains. Aus großer Höhe wirkte alles so hübsch und ordentlich, aber Bond spürte eine wachsende Anspannung angesichts der Frage, wie seine Vergeltungsmaßnahmen wohl ausfallen würden, inmitten dieser dicht befahrenen Straßen. Er durfte nichts überstürzen und sich auch nicht von seinen Gefühlen leiten lassen. Rache genoss man schließlich am besten kalt.
»Willkommen in den USA , Mr Fitzjohn«, sagte der Einwanderungsbeamte und stempelte seinen Pass ab. »Sind Sie geschäftlich oder zum Vergnügen hier?«
»Sowohl als auch«, sagte Bond. »Mir kommt es aber vor allem auf das Vergnügen an.«
Nachdem er den Zoll passiert hatte, lief er zur Hauptankunftshalle vor und holte seinen Koffer ab. Sein Bargeld hatte er bereits in London in Dollarnoten umgetauscht, die nun, zu einem flachen Ziegel gepresst, in seiner Brusttasche steckten und angenehm beruhigend gegen sein Herz drückten. Die Walther PPK hatte er nicht mitgenommen, es erschien ihm sicherer und wirksamer, sich vor Ort auszurüsten, zumal er noch nicht einschätzen konnte, welche und wie viele Waffen er für seine besondere Mission benötigen würde.
Auf seinem Weg durch die Halle hielt er Ausschau nach Autovermietungen. Für amerikanische Wagen hatte er zwar nicht viel übrig, aber er wollte es mit –
»Bond?«
Obwohl er seinen Namen laut und deutlich gehört hatte, drehte Bond sich nicht um – jetzt hieß er Fitzjohn. Aber dann hörte er ihn noch mal.
»Bond. James Bond, ist das denn die – «
Die Stimme kam näher, sie klang vornehm und hatte einen schottischen Einschlag, ohne eine Spur von Feindseligkeit oder Aggressivität. Bond blieb stehen und drehte sich doch noch um, erbost und frustriert. Er hatte kaum amerikanischen Boden betreten, und schon war seine ausgeklügelte Tarnung aufgeflogen – jemand hatte ihn offenbar erkannt.
Der Mann, der nun – so strahlend wie fassungslos – auf ihn zukam, war sehr korpulent, etwa Mitte vierzig, mit schütterem blondem Haar über einem runden, rosigen Gesicht, und trug einen hellgrauen Flanellanzug mit einer extravaganten, überdimensionierten Garrick-Club-Fliege. Bond hatte nicht die leiseste Ahnung, wer das war. Die feisten Gesichtszüge, die Tränensäcke und der unnatürlich blühende Teint zeugten auf den ersten Blick von einem ausschweifenden Leben. Dieser Mann ließ es sich eindeutig etwas zu gut gehen.
Mit flehentlich ausgestreckten Armen sagte der Fremde vor ihm: »Bond – ich bin’s, Bloater.«
Bloater. Der Name löste bei Bond keinerlei Assoziationen aus.
»Da liegt wohl eine Verwechslung vor«, sagte er höflich.
»Ich bin Bloater
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