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Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Titel: Solom: Der Wanderprediger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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gewesen – die sieben Siegel gebrochen, der rote Drache dem Meer entstiegen und so weiter – und die Bauern von Solom hatten es vor lauter Arbeit gar nicht gemerkt. Die charismatischen Baptistensekten hatten viel Tamtam wegen dieser Zeichen gemacht. In seiner Jugend hatte David fast täglich zu hören bekommen, das Ende sei nahe und Gottes Wiederkehr stehe kurz bevor. Was er jedoch nie so richtig verstanden hatte, war die Angst in den Stimmen der Unheilsverkünder. Die Rückkehr des Herrn war doch etwas Wunderbares, ganz egal, ob sie mit einer Feuersbrunst, einer Hungersnot oder einem großen Blutvergießen einherging.
    Doch was, wenn der Herr Harmon Smith als eine Art Prüfung geschickt hatte? Das ganze Alte Testament war im Grunde eine einzige Prüfung: Abraham sollte seinen Sohn auf dem Altar opfern, und Hiob musste schlimme Qualen über sich ergehen lassen. Selbst Jesus Christus musste auf einer Anhöhe stehend das teuflische Angebot einer glänzenden Stadt ablehnen, die vor ihm ausgebreitet lag – als ob Gott nicht einmal seinem eigenen Sohn vertrauen könnte, dass er das Richtige tat. Welche Chance hatte dann eigentlich ein kleiner, einfacher Mann wie David Tester?
    David hielt bei seiner Arbeit inne. Er breitete gerade Stroh auf Lillian Romingers Erdbeerbeet aus. Nach den ersten Frösten würde auch Davids Geschäft als Landschaftsgärtner einfrieren. Außer ein paar Baumschnitten und dem Verkauf von Weihnachtssternen, die er in einem kleinen Gewächshaus heranzog, waren in den nächsten Monaten keine großen Einnahmen zu erwarten. Lillian Rominger war eine seiner besten Kundinnen und brachte ihn mit kleinen Gelegenheitsjobs über den November. Sie war Methodistin und verwitwet, stämmig und schroff, aber dennoch ganz attraktiv und nur ungefähr zehn Jahre älter als er. Wenn er sich im Sommer das T-Shirt auszog, kam sie immer mit einem Glas Eistee um die Ecke. Im Herbst arbeitete sie gern mit ihm zusammen und machte sich gar nichts daraus, wenn sie sich dabei ihre Knie schmutzig machte.
    Heute fütterte sie gerade die beiden Ziegen, die sie auf ihrem knapp einen Hektar großen Grundstück in einem kleinen Pferch hielt. Rund um ihr Haus gab es zwei große Wiesen, viele Blumenbeete, Erdbeeren, Blaubeeren, Stachelbeeren und ein paar Dutzend Apfelbäume. Fast wie auf einem kleinen Bauernhof. Sie war Briefträgerin im benachbarten Landkreis und musste deshalb meistens auch samstags arbeiten. Allerdings meinte sie, dass die staatlichen Feiertage für diese Erschwernis entschädigten. David stützte sich auf seine Forke und sah zu, wie sie Heu in den Ziegenpferch streute.
    Die Tiere pressten ihre Köpfe gegen den Drahtzaun, gierig nach Futter. Ein Ziegenbock stellte sich auf die Hinterbeine und knabberte an ihrer Hand.
    »Au!«, rief Lillian plötzlich und zog ihre Hand zurück. David sah das Blut aus fünfzehn Metern Entfernung. Er rammte seine Heugabel in das Stroh auf seinem Pick-up und rannte zu ihr. Lillians blaue Augen waren vor Schreck weit aufgerissen.
    »Alles in Ordnung?«, fragte David. Er zog ein bunt gemustertes Tuch aus seiner Tasche und wollte damit ihre Wunde verbinden, aber es war vom Schweiß ganz hart.
    »Das verdammte Biest hat mir fast die ganze Hand abgebissen!«, schimpfte sie. An drei Fingerknöcheln war die Haut aufgerissen, das Blut tropfte auf ihre Stoffturnschuhe.
    »Wir sollten lieber reingehen und die Wunde auswaschen«, sagte David. Der Bock, der Lillian gebissen hatte, stand am Zaun und kaute ungerührt sein Heu.
    »Das wird schon wieder«, entgegnete sie. »Er ist bestimmt nur sauer, weil er weiß, dass ich ihn kastrieren will.«
    »Kastrieren?«
    Sie zog einen Eisenring aus der Hosentasche. An einem Ende des aufklappbaren Rings war eine Klammer angebracht, mit der man den Ring öffnen und schließen konnte. »Man greift einfach unter den Ziegenbock, packt ihn am Hodensack und zieht ihn so herunter«. Lilian zeigte ihm, was sie meinte. Es sah aus, als ob sie die Trauben von einem widerspenstigen Weinstock abriss. »Dann lässt man dieses kleine Ding da über die Eier schnappen. Nach ein paar Wochen sind die Hoden abgestorben. Dann wird der fürchterliche Ziegenbock-Gestank ein ganzes Stück erträglicher.«
    David wurde kreidebleich bei dem Gedanken, dass ihm jemand einen solchen Ring um seine Eier klemmte. Er war mit den Gepflogenheiten und Gebräuchen auf dem Bauernhof aufgewachsen, doch irgendwie erschien ihm eine Kastration viel grausamer, als wenn man ein Tier schlachtete, um

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