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Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Titel: Solom: Der Wanderprediger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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an diesem Ort sesshaft zu werden. Eine Art Heiliges Land. Oder einfach schön versteckt vor den Augen Gottes. Hier konnte man allen Ritualen nachgehen, wie man es wollte.
    Sister Mary schnaubte und wollte sich losreißen.
    »Gut, gut, sieh zu, dass du deine Mähne nicht verfitzt«, sagte Odus. Er ging zu der Stute, band sie los und stieg auf. Er spürte den holprigen Ritt in den Gliedern, aber es war nicht so schlimm, dass man klagen müsste. Er zog die Flasche Old Crow aus dem Rucksack, nahm einen kleinen Schluck und gurgelte damit. Als er die Flasche zurückschob, hörte er hinter sich einen Zweig knacken.
    »Wer ist da?«, fragte Odus. Plötzlich war er sich gar nicht mehr so sicher, ob es richtig gewesen war, ohne Waffen loszuziehen. Im Moment hätte er ein Gewehr ganz gut gebrauchen können. Es gab zwar hier im Wald keine wilden Tiere mehr, die Mensch oder Pferd gefährlich werden könnten. Das Wildeste, dem man heutzutage begegnen konnte, war ein gelegentlicher Rotluchs.
    Doch was auch immer es war, das da in den Büschen herumstromerte, es gab keine Antwort. Nicht dass Odus eine Reaktion erwartet hätte. Er führte Sister Mary ein Stück den Weg hinunter, damit sie beide ein wenig Abstand von dem Abgrund gewannen. Die Stute schien die Anspannung ihres Reiters zu spüren und stellte die Ohren auf. Odus klopfte ihr beruhigend auf den Hals.
    Als er ein paar Meter geritten war, kam eine Ziege aus dem Gebüsch. Fast hätte Odus erleichtert gelacht. Komisch war nur, dass die Ziege ihren Kopf leicht schräg hielt. Wie ein Mensch, der ein Auto begutachtet, das er vielleicht kaufen will. Oder welches Steak aus der Fleischtheke er heute Abend am liebsten verspeisen würde. Sister Mary blieb stehen, ohne dass Odus an den Zügeln ziehen musste.
    »Hau ab«, sagte Odus zu der Ziege. Das Tier war fast viertel so groß wie sein Pferd, dick und weiß. Das schmutzige Fell an seinem Bauch schleifte auf dem Boden. Die Augen waren verkrustet, in den Ecken klebte gelber Schleim. Es stank nach Pisse und Moschus. Die Hörner standen weit auseinander und waren nur leicht gebogen. Der Unterkiefer war heruntergeklappt, so dass man die alten, gelben Zähne sehen konnte. Fast sah es aus, als grinste die Ziege ihn an. Jetzt erkannte Odus das Tier. Es stammte aus der Herde von Gordon Smith.
    Aber was machte die Ziege allein hier draußen? Anfang August erst war Gordon den Zaun um sein Anwesen abgelaufen, kurz vor der zweiten Heuernte. Der Draht war in Ordnung gewesen, und die Pfähle aus Akazienholz hielten Jahre. Zwar waren Ziegen bekannt dafür, dass sie gerne mal ausbrachen und überall hinstreunten. Aber was machte es für einen Sinn, dass diese Ziege hier hoch ins Gebüsch gekrochen war, zu den Lorbeersträuchern? Frische Lorbeerblätter waren giftig, und ansonsten war hier um diese Jahreszeit nicht mehr viel zu holen, außer Balsamtannenzweigen und Strauchkiefern vielleicht.
    Aber die Ziege sah auch gar nicht so aus, als ob ihr der Sinn nach Grünfutter stand. Die eigenartig schimmernden Pupillen waren auf Odus gerichtet. So als wollten sich die beiden gleich ein Duell wie im Wilden Westen liefern.
    Die Ziege senkte den Kopf, ihr zotteliger Bart rieb an der struppigen Brust, so dass die gezackten Ränder der braunen Hörner sichtbar wurden. Sie scharrte mit den Hufen, wie ein Stier, der sich gleich voller Wut gegen das rote Tuch wirft. Ziegen waren viel gefährlicher, als die meisten Leute dachten, denn sie hatten einen starken Hals und harte, scharfe Hörner. Wenn die Ziege ihre Hörner in den Bauch des Pferdes stieß, dann würden danach wahrscheinlich die Gedärme der Stute wie Spaghetti auf den Hörnern hängen. Leider waren die Lorbeerbüsche rechts und links viel zu dicht, um einfach abzuhauen.
    Odus warf einen Blick über die Schulter, um zu sehen, ob seitlich des Abgrunds ein Weg entlang führte. In dem Moment ging die Ziege zum Angriff über. Sie kam von unten, auf Kniehöhe des Pferdes. Die Stute wieherte schrill und buckelte. Ihre Vorderbeine strampelten in der Luft. Odus klammerte sich an die Zügel und krallte sich um den Hals des Pferdes. Mit einem Fuß konnte er sich nicht mehr im Steigbügel halten. Einen Augenblick lang fühlte er sich fast schwerelos, dann krachte er wieder zurück in den Sattel und rannte sich die Eier an dem harten Lederzeug ein.
    Sister Mary stieg wieder auf die Hinterbeine. Diesmal traf sie die Ziege mit einem ihrer stahlbewehrten Hufe am Kopf. Die Ziege gab einen gurgelnden Schrei von sich.

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