Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Titel: Solom: Der Wanderprediger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
Vom Netzwerk:
Über ihren gruseligen Augen tat sich eine klaffende Wunde auf, so dass ihr das Blut übers Maul lief. Torkelnd trat sie ein paar Schritte zurück. Sister Mary machte einen Satz nach vorn. Odus hatte keine Chance, die Kontrolle über die Stute zurückzugewinnen.
    Die Ziege ging in die Knie und begann, mit ihrer graurosa Zunge ihr eigenes Blut aufzulecken. Sister Mary machte ein paar lange Schritte und sprang dann über die Ziege hinweg. Wieder ging Odus aus dem Sattel, doch auf die Schwerkraft war Verlass, so dass er direkt wieder zurückplumpste.
    Sister Mary galoppierte den Weg hinunter. Die Äste und Zweige schlugen Odus ins Gesicht und peitschten seine Hände. Als er zurückblickte, sah er, dass die Ziege noch immer ihr eigenes Blut aufleckte. Nach etwa hundert Metern drückte Odus der Stute seine Knie in die Flanken, damit sie stehenblieb. Endlich hielt sie an, keuchend vor Anstrengung. Odus griff in seinen Rucksack und nahm erst einmal einen kräftigen Schluck von dem Bourbon. Seine Hände zitterten. Irgendwie war die Begegnung mit der Ziege gruseliger gewesen als der unerwartete Besuch des Wanderpredigers im Tante-Emma-Laden letzte Nacht.
    Eines war sicher: Der Wanderprediger war offensichtlich nicht allein. Er hatte ein paar Freunde mitgebracht. Odus hatte nichts weiter als eine gescheckte Stute, einen viertel Liter Achtzigprozentigen und seinen sturen Kopf. Er ritt weiter hoch in den Wald, dort, wo aus dem brüchigen grauen Granit die kleinen Bäche entsprangen, die Rush Branch speisten. Das älteste Gebirge der Welt mit seinen zahlreichen Quellen, die wie die Tränen einer müden Witwe in einen der ältesten Flüsse rannen. Ein guter Ort für die Wiege des Bösen.
    Und Odus würde diese Wiege verdammt noch mal zum Schaukeln bringen!

 
     
     
    36. KAPITEL
     
    Normalerweise hatte Sarah sonntags bis achtzehn Uhr geöffnet. Meist brachte ihr die zweite Runde der Gläubigen, die in die Kirche der Free Will Baptisten strömten, noch ein paar Kunden. Manche brauchten vor dem Gottesdienst noch einen Kaffee, andere holten ein paar Kekse oder eine große Cola. Sie konnte nicht verstehen, warum manche Baptisten so scharf darauf waren, drei oder vier Mal die Woche in die Kirche zu gehen. Sie war der Meinung, dass man einfach nur ein bisschen weniger sündigen brauchte. Dann musste man auch nicht so oft um Vergebung bitten. Doch ein Dollar war ein Dollar. Da kam es nicht darauf an, wie befleckt die Seele des edlen Spenders war.
    In der letzten Stunde hatte sie gerade mal zwei Kunden gehabt. Zwei laute Yankees, Angler. Sie waren die Gänge auf- und abgeschritten und hatten am Ende nichts weiter gekauft als eine Packung Kaugummi. Obwohl sie sich auch eine ganze Reihe anderer Sachen angeschaut hatten, esoterisches Zeugs. Dann hatten sie gelacht, auf diese aalglatte, schlüpfrige Art, wie man in New York eben lachte. Viel zu viele Touristen, und ganz besonders die Yankees, betrachteten ihren Laden mehr wie ein Museum. So als ob es keine Preisschilder gäbe. Als ob dieser ganze Krempel hier nur zum Spaß herumstände und nicht, damit sich eine arme, gebückte alte Jüdin aus den Appalachen damit ihren Lebensunterhalt verdiente.
    Deshalb hatte sie überlegt, ob sie heute vielleicht etwas eher schließen sollte. Denn aus der Tiefe ihrer Seele war dieses Gefühl in ihr aufgestiegen, dass heute Nacht etwas Besonderes passieren würde. Es war fast, als ob Mutter Erde höchstpersönlich negative Schwingungen aussandte. Als ob die Milliarden Jahre alten Felsen und der Humus, der die ältesten Berge der Welt bedeckte, spürten, dass etwas Unreines über sie hinweglief. Wenn heute Nacht wirklich etwas passierte und der Wanderprediger sein Pferd gefunden hatte, dann war es vielleicht gar keine schlechte Idee, nach Hause zu gehen und sich tief unter die warme Decke zu kuscheln. Geld hin oder her.
    Und so machte sie heute schon um vier Uhr Kassensturz. Gleich würde sie das Schild in der Tür herumdrehen (von »Kommen Sie rein, wir sind pleite!« auf »Wir vermissen Sie – und vor allem Ihr Geld!«). Die Geschichte von ihrer kleinen Ohnmacht hatte die Runde gemacht. Die Einheimischen und Stammkunden würden es also verstehen. Und die Touris, also jene, die die Hütten in den Bergen gemietet hatten, die konnten ihre fetten weißen Ärsche auch nach Titusville bewegen und sich dort mit den wohlgenährten Müttern aus Tennessee durch den Wal-Mart wälzen.
    Sie zählte gerade die Zwanziger – ihrer Meinung nach waren es bei Weitem

Weitere Kostenlose Bücher