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Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Titel: Solom: Der Wanderprediger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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dürren Fingern zog er seinen zerschlissenen Wollumhang fester um sich. »Aber wir müssen noch auf die anderen warten.«
    »Welche anderen?«, fragte Odus.
    In diesem Augenblick vernahm Sarah ein Dröhnen, das von den Hängen heraufschallte und sich im Talkessel zu einem donnernden Echo sammelte. Es waren Autos, mindestens drei, vielleicht auch mehr. Sie knatterten die Berge hinauf, kämpften mit dem steilen Anstieg. Wie viele der Wanderprediger heute Nacht wohl hierher eingeladen hatte?
    Harmon Smith hockte im Schneidersitz auf dem Felsblock, sein schlangenhaftes Lächeln nahm dämonische Züge an. »Meine Kinder«, sagte er. »Alle meine lieben Kinder.«

 
     
     
    49. KAPITEL
     
    Odus packte die Zügel, um Sister Mary zu beruhigen, denn es kamen immer mehr Menschen zwischen den Bäumen hervor. Auf den alten Holzfällerstraßen brummten Fahrzeuge den Berg hoch, und im Schein von einem halben Dutzend Scheinwerfern stolperten ein paar Ziegen orientierungslos herum. Es war wie ein bizarrer Wiederbelebungs-Gottesdienst, zu dem der Wanderprediger seine Herde zusammengerufen hatte.
    Plötzlich fühlte sich Odus gar nicht mehr so einzigartig. Er schämte sich, dass er geglaubt hatte, dass er derjenige sei, der den Wanderprediger zur Strecke bringen würde. Er war unwürdig. Ein Alkoholiker ohne ordentlichen Job, ein schmutziger Pferdedieb, zu einer Blutlinie gehörig, die dieses Land zwar seit Kolonialzeiten bevölkerte, es aber nicht wirklich bereichert hatte.
    Dieser Eakins-Typ, dem das Grundstück oberhalb der Smiths gehörte, stand da mit seinem Bogen und wusste nicht, in welche Richtung er zielen sollte. Loretta Whitley und ihr Sohn Todd hielten jeder eine Mistgabel in der Hand und sahen aus wie verängstigte Mitstreiter einer wütenden Meute, die Frankensteins Schloss stürmen will. Amos Clayton hatte eine Schrotflinte bei sich, die weitaus größer war als die von Sarah, obwohl er nicht so richtig sicher schien, wie er damit umgehen sollte.
    Odus fragte sich, ob sie alle von derselben Täuschung hierhergeführt worden waren. Ob auch diese Leute alle glaubten, dass sie gerufen worden seien, um den Wanderprediger endlich zur Strecke zu bringen, ihm ein für alle Mal den Garaus zu machen und Frieden in dieses Tal zu bringen? Oder waren sie vielleicht gekommen, weil sie sich alle auf dem Altar des Lebens opfern wollten?
    Noch mehr Fahrzeuge rollten auf die Lichtung. Der Abgasgeruch übertünchte kurz den Gestank der Ziegen und den Geruch der menschlichen Angst. Odus erkannte den Pick-up von Ray Tester, daneben kam ein Sport-Geländewagen zum Stehen. Ein Crown Victoria Polizeiauto war von der Fahrt hier hoch ganz schön mitgenommen, doch dank des Vorderradantriebs hatte es der Wagen bis auf den Gipfel geschafft. Die Tür ging auf, ein Polizist stieg aus. Eine Hälfte seines Gesichts war von einem roten Muttermal entstellt, eine Hand hatte er an der Pistole. Odus fragte sich, ob der Sheriff versuchen würde, die Lage in den Griff zu bekommen, doch er schien genauso unter dem Einfluss des Wanderpredigers zu stehen wie die anderen.
    »Ich heiße euch alle willkommen«, sagte der Prediger. Seine Beine sahen aus wie gebrochene schwarze Stäbe. Im Licht der Scheinwerfer wirkte er in seinem mottenzerfressenen dunklen Anzug eher wie ein Schatten. Er tippte an die Krempe seines Hutes und drehte sich ein Stück herum, so dass alle hier Versammelten sein Gesicht sehen konnten. Seine Haut war weich und spröde wie Wachs, und seine Augen hatten die blutige Farbe eines Herbstmondes kurz nach dem Sonnenuntergang.
    Die Menge war still, so als ob jedes Wort, das jetzt gesprochen wurde, die Wahrheit verkündete. Einige verspätete Ziegen legten sich neben den Stein, der dem Wanderprediger als Kanzel diente, lammfromm und still wie ihre Gefährten. Aus dem Wald waren weitere Menschen hervorgetreten, die sich erwartungsvoll immer enger um die Steinplatte scharten. Odus sah die flaumhaarige Grundschullehrerin Marletta Hoyle, die einen Gehstock mit Adlerkopf bei sich hatte, als ob sie dem Wanderprediger damit auf den Kopf schlagen wollte wie einem unartigen Kind. Die beiden Tester-Brüder waren aus ihrem Pick-up ausgestiegen und standen nebeneinander vor dem Ziegenkreis. David sah etwas niedergeschlagen aus, doch Ray stand da mit stolzgeschwellter Brust und hoch erhobenem Kopf, wie ein Hund, der auf seine Belohnung wartet.
    »Es sind noch nicht alle da«, verkündete der Wanderprediger.
    Aus dem sicheren Versteck des Waldes rief ein

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