Some like it heiß
und hatte keinen Bock, wieder in Stiefeletten zu steigen. Glücklicherweise ist meine Heilpraktikerin sehr praktisch veranlagt und hatte ein extra Paar Schuhe im Flur – hübsche Glitzer-Birkenstocks.
5. RAGE AGAINST THE MACHINE
»Es reicht!«
»Lauter!«
»Es REICHT!«
»Noch mal!«
»Es REIIIIIIIIIIIIICHT!«
Ich saß auf einem etwas unbequemen Stuhl, der auf einem Lammfellteppich in einer gutbürgerlichen Wohnung in Friedenau stand. Ich schrie lauthals die sympathische Frau an, die mir gegenübersaß. Es war mir etwas peinlich, aber weil ich zweihundertfünfzig Euro dafür auf den Tisch geblättert hatte, holte ich tief Luft und brüllte: »
ES REICHT!«
Ich war in einer Supervision, einer neunzigminütigen Coaching-Session, empfohlen von meinerHeilpraktikerin, um meine Ziele zu definieren, meine Prioritäten klarzustellen und dadurch mein Leber-Qi zu unterstützen. Wenn mich diese Investition wieder in meine High Heels schlüpfen lässt, dachte ich mir, warum nicht? Schließlich hatte ich für viele fabulous shoes viel mehr ausgegeben. Also war das eine doppelt sinnvolle Investition. Unsere erste Übung hieß: »Klare Grenzen setzen.« Mit Hilfe von zwei kleinen Worten: ES und REICHT.
Diese Worte waren mir bis dahin etwas fremd. Erstens, weil es in meinem bisherigen Leben nicht so oft reichte. Und zweitens bin ich zu höflich, um so etwas zu sagen, geschweige denn zu brüllen. Ich bin Amerikanerin, wir sind freundlich. Höflichkeit im Umgang ist uns sehr wichtig. I’m fine! It’s great! No problem! It’s all good! Wir tendieren zu einem überbordenden Optimismus, gepaart mit naivem Selbstbetrug. Yes we can! Auch wenn wir es nicht können.
Ich habe immer deutsche Frauen bewundert, die kühl und ohne mit der Wimper zu zucken ihre Grenzen aufzeigen. Die Frauen im Café, die ihren grünen Tee sofort zurückgehen lassen, wenn er nicht heiß genug oder grün genug oder Tee genug ist oder whatever. Frag sie, ob du dichneben sie auf den einzigen freien Sitzplatz im gesamten Café setzen darfst, auf diesen Stuhl, auf den sie ihren Mantel und ihre Einkaufstasche gelegt hat, und sie sagt: »Nicht wirklich.« Toll! Ich könnte das nie. Ich würde lächelnd »Ja, gerne doch« sagen, all meine Tüten auf meinem Schoß verstauen und ziemlich sauer und eingeengt meinen mittlerweile kalten Chai Latte austrinken. Ich kann nicht nein sagen. Oder ich würde sofort aufstehen und auch noch meinen Stuhl anbieten. Ich würde ihn ein bisschen putzen, mich dafür entschuldigen, dass es nicht der tollste Sitzplatz ist – auch wenn das gar nicht stimmt –, für eine Sitzheizung und tolles Licht sorgen und die Frau zu Kaffee und Kuchen einladen. I’m a people pleaser. Das jüngste Kind einer chaotischen Familie mit einer Vorliebe für Maßlosigkeiten. Ich möchte, dass alle nett zueinander sind.
Deutsche empfinden uns Amerikaner oft als oberflächlich, weil wir sofort und grenzenlos freundlich sind, aber das ist ja unsere Überlebensstrategie. Amerika ist ein Einwanderungsland. Mit so vielen verschiedenen Menschen aus so vielen verschiedenen Ländern mit so vielen verschiedenen Geschichten. Es ist tausendmal einfacher, jemandem höflich »Have a nice day!«zu wünschen, als tief in seinen Traumata zu wühlen. Wenn wir nicht freundlich zueinander wären, würden wir uns die Köpfe einschlagen. Und ich bin a big fan of Reibungslosigkeit.
Nach über zwanzig Jahren in Berlin und dem Ausbruch der Wechseljahre ist aber die Reibungslosigkeit aufgebraucht. Berlin ist eigentlich der ideale Ort, um die Jahre zu wechseln. Wenn ich an Berlin denke, stelle ich mir die Stadt immer als eine Frau mitten in ihrem Klimakterium vor. Eine einzigartige, selbstbewusste Dame mit einer Vergangenheit voller Höhen und Tiefen, Tragödien, Triumphen und jeder Menge Trümmern. Eine Überlebenskünstlerin, die alles gegeben hat und jetzt etwas für sich tun will. Ein wildes Weib, das die Nacht durchtanzt und seufzt und am nächsten Morgen manchmal überempfindlich reagiert:
»Guten Tag!« – »
SCHNAUZE!
«
Willkommen in der Wechselwelt! Unvorhersehbare Überreaktionen sind eine furchterregende Besonderheit in der Menopause. Ganz normale Frauen verwandeln sich in eine Art Naomi Campbell für Fortgeschrittene. Kinder verstehen nicht, warum Mama gerade die Haferflocken an die Wand geschmissen hat, und Ehemännerverstehen überhaupt nicht, wer dieser aufgebrachte Mensch ist, der neben ihnen im Bett liegt und aussieht wie Jack Nicholson in »The
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