Some like it heiß
neunundvierzigjähriges Showgirl whose linke Oberschenkel allein so groß ist wie die ganze Kylie Minogue …
So würde meine neue Show anfangen. Der Eröffnungsmonolog nach einem Mash-up aus »Let Me Entertain You« und »There’s No Business Like Show Business« mit zehn Musikern und drei Tänzern. Ich wollte eine Revue kreieren, dieden Deutschen nicht nur mich und mein ganzes Können präsentierte, ich wollte auch ein bisschen amerikanische Entertainment-Geschichte erzählen, um meiner Arbeit einen Kontext zu geben. Ich lebe lang genug in Deutschland, um zu wissen, dass »Kontext« hier fast so wichtig ist wie frische Luft. Der Titel sollte »Everybody’s Showgirl« lauten, um meine Einstellung zu meinem Beruf als demokratische Dienstleisterin klarzustellen und mich, eine pummelige, fast fünfzigjährige Frau, mit einem heftigen Augenzwinkern als Showgirl zu verkaufen. Ich hatte schon mehrere Gespräche mit der Produktionsfirma hinter mir.
»Die Show ist die Person Tufts. Dieses Produkt müssen wir klarer darstellen. Was macht es aus? Nur so können wir es klarer vermarkten.«
»Könnten Sie bitte
sie
sagen, statt
dieses Produkt
? Ich bin das Produkt und sitze Ihnen gegenüber.«
Der Promoter hatte natürlich recht, ich musste mir eine Marketingstrategie ausdenken, um mich und die Show klarer zu positionieren und das Publikum anzulocken. Wer bin ich? Was mache ich hier seit zwanzig Jahren? Und warum? Mitte der neunziger Jahre nahm mich Thomas Hermannsmit zu einem Besuch bei seinen Eltern in Nürnberg. Thomas ist einer meiner besten Freunde, und ich bin mittlerweile die »Adoptivtochter« seiner Familie. Es war kurz vor Weihnachten, wir aßen Raclette und sprachen über meine berufliche Zukunft. Thomas’ Vater hatte lange Zeit für die Bundesanstalt für Arbeit gearbeitet und als Mitherausgeber der Arbeitsstatistiken weit in die Zukunft geschaut. Karl ist ein Mann klarer Ansagen und ein Freund des strukturierten Denkens, der immer weiß, worüber er spricht. »Gayle, du bist sehr vielfältig. Wir in Deutschland haben aber eine Schubladenmentalität. Du musst klar sagen können, wer du beruflich bist. Also: Wenn ich meinen Skat-Kameraden erkläre, was du machst, welchen Beruf nenne ich dann?«
»Ich bin Entertainerin!«
Ich nenne mich bewusst Entertainerin, weil es für meine vielen Seiten nicht das eine passende deutsche Wort gibt: Ich schreibe, singe, tanze, erzähle Geschichten und bin witzig. Es ist nicht leicht, eine Entertainerin in Deutschland zu sein. Wenn ich meinen amerikanischen Freunden und Kollegen erzähle, that I do comedy in Germany, they think that’s the Pointe. Warum ist Entertainment such a dirty word in Deutschland? Inmeiner Heimat ist Entertainer ein respektierter Beruf. Einige der bekanntesten Amerikaner waren Entertainer: Frank Sinatra, Elvis Presley oder Walt Disney. Aber die deutsche Übersetzung klingt blöd: UNTERHALTER. Schon das Wort »unter« – Herabschauen ist vorprogrammiert. Noch schlimmer ist »Alleinunterhalter«. Das ist fast ein Schimpfwort:
Du … du … Alleinunterhalter!
Wer denkt da nicht sofort an den Akkordeon spielenden älteren Mann, der bei der Butterfahrt immer wieder »Ein bisschen Spaß muss sein!« in das übersteuerte Mikrofon singt?
»Ich habe früher gedacht, Alleinunterhalter wäre etwas Sexuelles. Was liegt nach zwanzig Jahren Ehe in Deutschland im Bett? Zwei Alleinunterhalter!« –
Ich war mir noch unsicher, ob ich diesen Witz, den mir mein Pianist erzählt hatte, wirklich in der Show unterbringen sollte.
Entertainment ist grundverschieden in unseren Kulturen. In Amerika gilt: The more you can do the better. Die Vielfalt ist von Vorteil. Das Land ist riesig, die Konkurrenz enorm, die guten Jobs sind relativ gering und schwer zu kriegen – sei deshalb so vielfältig wie möglich! Aber wenn man in Deutschland mehr als ein Talent hat, ist das immer irgendwie verdächtig: Sängerin
und
Comedian? Amerikanerin
und
nachdenklich? Witzig
und
intelligent? Wie?
Ich liebe Showgirls. Ich bin groß geworden mit starken, multitalentierten Stars wie Liza Minnelli, Barbra Streisand, Shirley MacLaine, Diana Ross und Bette Midler, die in meiner Kindheit jede Woche im Fernsehen zu sehen waren. Ich habe sie bewundert und mit ihnen gesungen und getanzt, all ihre Texte habe ich auswendig gelernt. Als Kind war ich etwas zappelig – immer voller Energie und viel zu laut, bis ich mit viereinhalb bei der Abschlusspräsentation meiner Kindertanzschule zum allerersten
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