Some like it heiß
Mal auf der Bühne ein Mikrofon in die Hand bekam. Plötzlich war es ganz still in mir. Ich erlebte eine tiefe innere Entspannung. Mir war klar – das ist mein Job, ich werde selbst ein Showgirl. Entertainerin.
»Wir wissen, dass du eine gute Ausbildung hattest, aber die New Yorker Spielorte und die amerikanischen Regisseure kennt hier in Deutschland niemand. Daher ist es wichtig, dass wir die Show über dich verkaufen. Doch wie präsentieren wir das Produkt?« Mein Promoter redete immer noch über mich, als ob er einen neuen Joghurt auf den Markt bringen wollte. Vermarktung war anscheinend das Allerwichtigste.
Meine bisherige Karriere verlief recht abenteuerlich, abwechslungsreich und doch erfolgreich. Manchmal erkennt man mich sogar auf der Straße. Wobei »Erkennen« vielleicht das falsche Wort ist. Die meisten kennen mein Gesicht, und sie erkennen meine Stimme, aber sie haben keine Ahnung, wie ich heiße. Leute gucken mich an wie eine seit Jahren verschollene Cousine aus der Prignitz und sagen: »Sind Sie nicht die Frau vom Fernsehen?«
Mein Name ist wirklich schwierig für die Deutschen. Alle denken, es wäre ein Künstlername, aber nein – ich heiße so seit meiner Geburt. Als ich vor Jahren in der »Bar jeder Vernunft« mit meinem damaligen Bühnenpartner Rainer Bielfeldt spielte, hörte ich, wie eine Frau im Publikum zu ihrer Freundin sagte: »GAYLE TUFTS, das ist ein Künstlername. Der Pianist ist schwul, und sie ist taff. Gay-el Taffs. Das ist das Konzept.« Das ist kein Konzept – das bin ich! Wenn ich mir einen Künstlernamen für Deutschland ausdenken müsste, würde ich etwas Einfacheres nehmen. Petra Schmidt oder Marion Barth. Penny Markt oder Mini Mal.
Statt mir jetzt den Kopf über meine Vermarktungsfähigkeit zu zerbrechen, hätte ich mir damalswahrscheinlich mehr Gedanken machen sollen, bevor ich nach Deutschland gekommen bin. Zum Beispiel hätte ich die Sprache lernen sollen, aber ich war vierundzwanzig und wollte eigentlich nur ein paar Wochen bleiben. Es war Sommer, die Straßencafés waren voll, jeder Westberliner lächelte mich an und sprach Englisch mit mir. An Tischen unter schattigen Bäumen beim vorher noch nie gekosteten Weißbier sprach ich mit sehr attraktiven Männern und hochintelligenten Frauen über New York, Wim Wenders und die Schaubühne. Das sommerliche Deutschland war eine unerwartete Selbstentdeckungsreise – wie sie später Julia Roberts in »Eat, Pray, Love« erlebte – Cute Boys, Cheap Beer, Why Not?
Fünfundzwanzig Jahre später war mein Deutsch immer noch nicht perfekt. Manchmal kommt nach einem Konzert eine Zuschauerin zu mir und fragt: »Aber Sie sprechen doch nicht wirklich so, oder?«, und ich muss sie enttäuschen. Ich lebe zwischen den Sprachen, Dinglisch ist mein Ding und für mich selbstverständlich. Jedes Missverständnis, jede Sprachfalle ist von Bedeutung und Teil meiner Identität. Obwohl mein Außenseiterstatus mich manchmal einsam und müde macht – in einem Beruf, wo Perfektionverlangt wird –, ist Imperfektion manchmal ein Vergnügen.
Es ist sowieso nicht leicht, eine Frau im Showbiz zu sein. Durch die neverending Erwartung an immerwährende, makellose Schönheit, den kontinuierlichen Druck, jung zu bleiben, und den nervenaufreibenden Kampf, Privat- und Berufsleben in Einklang zu bringen, ist das Risiko für Körper und Seele immens – die Schuhe allein sind lebensgefährlich. Von Judy Garland bis Marilyn Monroe, von Janis Joplin über Karen Carpenter bis Amy Winehouse gibt es sie immer wieder – the showgirl as cosmic sacrifice, das Showgirl als Schlachtopfer. Hochtalentierte, im Scheinwerferlicht gefangene Stars, who are begabt, berühmt und tragischerweise immer ein bisschen bekloppt. Und wir lieben sie, weil wir denken: If she’s that fucked up, dann geht es mir prima! It’s Schadenfreude.
That’s a very deutsches Ding:
Schadenfreude
. Wir benutzen das Wort auch auf Englisch. Wir haben keinen eigenen Begriff für diese Regung –
damage joy
gibt es nicht, wir sagen
Schadenfreude
. Vielleicht gibt es doch zwei Worte: Britney Spears. Die Pop-Prinzessin, Sexbombe und chemisch wiederhergestellte Katastropheist gerade dreißig geworden! Dreißig! It feels like she’s hundertdrei! Sie ist der lebende Showgirl-Schnelldurchlauf: Teenie-Star, Mega-Star, schwanger, Scheidung, Drogen, Klapsmühle, Welttournee – und alles sofort zum Downloaden. Britney ohne Haar, Britney ohne Unterhose, Britney ohne Ahnung. Unterhaltung pur! Who needs
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