Someone like you - Dessen, S: Someone like you
Leeks Standardzusammenschiss, |81| wenn Macon mal wieder zehn Minuten zu spät aufkreuzte, ohne Socken, aber im Mund noch ein halbes Duplo.
»Kommt sofort«, antwortete Macon unbekümmert und zog ein Blatt Papier aus der Tasche. Wir schauten alle aufmerksam zu, während unser Sportlehrer mehr als prüfend draufblickte. Doch obwohl jede einzelne Entschuldigung gefälscht war, schien Macon sich nie irgendwelche Sorgen zu machen, dass er auffliegen könnte. Bei den schriftlichen Sportprüfungen, die sowieso schon als Idiotentests galten, rasselte er unweigerlich durch; dafür konnte er auf Anhieb jede Unterschrift perfekt nachmachen. Eine echte Gabe.
»Der Trick liegt im Handgelenk«, erklärte er mir und setzte schwungvoll die Unterschrift seiner Mutter unter eine Erklärung, dass er leider wieder einmal auf eine Beerdigung in der Verwandtschaft oder zum Arzt gehen müsste. Ich rechnete stündlich damit, dass er erwischt werden würde. Aber ihm passierte nichts.
Anscheinend musste er nie zu irgendeiner bestimmten Zeit zu Hause sein. Alles, was ich über seine Mutter wusste, war, dass sie keine Punkte auf ihre Is setzte. Ich wusste nicht einmal, wo er wohnte. Macon war einfach anders, ein echt wilder Typ; wenn ich mit ihm zusammen war und mitkriegte, was er so abzog, konnte ich tun, als wäre ich ebenfalls wild, wagemutig und anders. Er erzählte mir von Partys, bei denen garantiert mindestens einmal die Bullen auftauchten. Oder wie er manchmal mitten in der Nacht spontan losfuhr, ans Meer oder nach Washington, einfach weil er Bock darauf hatte. Montags tauchte er mit den abgefahrensten Geschichten auf, mit T-Shirts von Bands, von denen ich noch nie etwas gehört hatte, und auf seinen Handrücken entdeckte ich die verschmierten Stempel diverser Clubs. Er redete von Leuten, Orten, Sachen, von |82| denen ich keine Ahnung hatte; doch ich nickte, merkte mir alles ganz genau und gab es Scarlett bis in die kleinste Kleinigkeit wieder. Erzählte es so genau, als wüsste ich tatsächlich Bescheid, wäre selbst dort gewesen, hätte es ebenfalls gesehen und erlebt. Ich war völlig in seinem Bann. Irgendetwas an ihm faszinierte mich unendlich – sein läs siger Schlendergang, sein verschmitztes Lächeln, sein geheimnisvolles, undurchschaubares Leben, verglichen mit dem mein eigenes Leben offen wie ein aufgeschlagenes Buch dalag. Es gab ja sogar Bücher, in denen tatsächlich etwas über mein Leben stand . . .
Scarlett schüttelte natürlich leicht belustigt den Kopf, wenn ich ihr unsere albernen Gespräche über Socken und Volleyball Wort für Wort wiedergab, inklusive jedes Lachens oder Tonfalls, jeder Geste und Grimasse. Aber sie hörte geduldig zu. Und wenn er mal wieder nicht beim Sport erschienen war, ich in der Mittagspause beleidigt mein Sandwich zerrupfte und behauptete, im Grunde sei er mir sowieso schnurzpiepegal, saß sie genauso geduldig daneben und hörte sich mein Gejammer an. Manchmal bemerkte ich dann wieder diesen traurigen Gesichtsausdruck an ihr. Als wäre Michael Sherwood unvermittelt aus dem Nirgendwo – oder wo auch immer sie ihn sorgfältig aufbewahrte – aufgetaucht und würde sie an den Beginn des Sommers erinnern, als sie diejenige gewesen war, die mich mit ihren Erlebnissen zutextete.
Allerdings – welch Wunder – geschahen in diesem September auch noch ein paar andere Dinge. Während der Sommerferien hatte die tägliche Radiosendung meines Vaters auf T104 ein neues Konzept und Format bekommen, was dazu führte, dass sie sich über Nacht zur angesagtesten Radiosendung überhaupt entwickelte. Seine Stimme |83| war plötzlich einfach überall; morgens auf dem Schulweg hörte ich sie aus geparkten Autos oder wenn ich mit Scarlett an einer Ampel stand oder sogar an der Tanke, wo wir jeden Morgen vor der Schule Cola kauften und, sofern nötig, tankten.
Mein
Vater, der Witze erzählte, Anrufer auf die Schippe nahm,
meine
Lieblingsmusik spielte, wurde sozusagen der Soundtrack meines Alltags. Am Ortseingang hing ein Riesenplakat, auf dem stand: BRIAN ZUM FRÜHSTÜCK – BESSER ALS CORNFLAKES. Mein Vater konnte sich darüber kaputtlachen, er fand es sogar noch witziger als das FEINDLICHE WOHNVIERTEL. Meine Mutter dagegen fand es gar nicht witzig, dass er – wie sie ihm unterstellte – täglich einen Umweg fuhr, nur um sich das Plakat anzusehen. Egal, wo ich mich aufhielt, ich hörte
seine
Stimme; zu Hause ja sowieso, doch jetzt auch sonst überall. Ich fand’s ziemlich abartig, dass es
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