Someone like you - Dessen, S: Someone like you
ich knallrot. »Ich gehe jetzt lieber.«
Scarlett sah mich kopfschüttelnd an, als wüsste sie etwas, von dem ich noch keine Ahnung hatte. Doch schließlich sagte sie nur: »Pass bloß auf.« Sie zog an den Riemen ihres Rucksacks, so dass er enger saß.
»Weshalb?«, fragte ich.
»Du weißt schon.« Sie sah mich an und dabei war ihr Gesicht auf einmal so traurig. Doch dann schüttelte sie plötzlich lächelnd den Kopf, wandte sich zum Gehen. »Sei einfach vorsichtig. Beim Sport und überhaupt.«
»Okay.« Stellte sie sich etwa gerade vor, wie ich von einem Medizinball erschlagen wurde oder sich ein verirrter Badmintonball in mein Auge bohrte? Oder war sie nur wegen Macon und allem, woran er sie erinnerte, so traurig? »Ich passe schon auf«, sagte ich.
Sie hob zum Abschied die Hand und lief auf den Naturwissenschaftstrakt zu. Ich ging in die Gegenrichtung davon. Schob die Tür zur Sporthalle auf. Der charakteristisch muffige Geruch nach Mobilat und verschwitzten Matten schlug mir entgegen. Und Macon Faulkner wartete dort auf mich.
Die fünfzig Minuten Sport pro Tag wurden zu den fünfzig wichtigsten in meinem Leben. Krankheiten, Naturkatastrophen, Todesfälle – ganz egal, was passiert wäre, ich hätte mich pünktlich zur dritten Stunde in weißen Socken und blauer Turnhose zum Sportunterricht eingefunden. Macon schwänzte ab und zu – an den Tagen war ich mies drauf, ließ lustlos meinen Ball durch die Gegend hüpfen oder was auch immer und starrte ununterbrochen |79| auf die Uhr. Aber wenn er zum Unterricht kam, war diese Schulstunde einfach das Größte. Was Besseres gab es nicht mehr.
Natürlich tat ich so, als könnte ich Sport nicht ausstehen, denn gerne Sport zu haben wäre noch schlimmer gewesen als zu den Nieten zu gehören, die in der Blaskapelle mitspielen. Doch jeden Tag, wenn wir uns um halb elf in der Mädchenumkleide umzogen, um eine weitere Lektion über die Kunst des Volleyballspiels über uns ergehen zu lassen, war ich die Einzige, die nicht rummeckerte. Um glücklich zu sein, musste ich nichts weiter tun als cool in die Halle zu schlendern und Macon zu entdecken, der normalerweise am Wasserspender hockte, in Tennisschuhen (die zum Sportunterricht nicht zugelassen waren) ohne Socken, wofür ihm jedes Mal fünf Punkte von seiner Gesamtnote abgezogen wurden. Selbstverständlich tat ich immer so, als wäre ich noch völlig verpennt und würde ihn deshalb im ersten Moment gerade eben
nicht
bemerken. Ich hockte mich ein paar Meter von ihm an die Wand, winkte dann irgendwann beiläufig zu ihm rüber und hoffte, er würde nicht merken, wie ich nur darauf wartete, dass er die paar Meter zu mir herüberrutschte, bis er neben mir saß. Was er jedes Mal tat. Jedes Mal. Die paar Minuten, die Mr van Leek, unser Sportlehrer, brauchte, um seine Unterlagen und sich selbst auf die Reihe zu bekommen, waren für mich der Höhepunkt meines Tages. Aller Tage. Abgesehen von kleinen Varianten führten wir im Prinzip stets den gleichen Dialog:
Macon: Wie läuft’s?
Ich: Bin total fertig.
Macon: Ja, bei mir ist es gestern Nacht auch spät geworden.
|80| Ich (als dürfte ich unter der Woche jemals länger wegbleiben als bis acht): Dito. Wie ich sehe, trägst du wieder keine Socken.
Macon: Ich vergesse es einfach.
Ich: Du wirst noch durchfliegen. In Sport!
Macon: Außer du kaufst mir ein Paar Socken.
Ich (mit einem spöttischen Lächeln): Klar doch.
Macon: Okay, dann bist du schuld, wenn ich durchfliege.
Ich: Klappe.
Macon: Lust auf eine Runde Volleyball?
Ich (als wäre ich ein hartgesottener Profi): Aber immer. Ich mach dich alle.
Macon (lacht): Logo. Wir werden ja sehen.
Ich: Okay, wir werden sehen.
Ich lebte nur noch für diese Momente.
Macon kam nicht zur Schule, um etwas zu lernen oder sich aufs College vorzubereiten. Schule war nichts weiter als ein notwendiges Übel, das er sich durch den Dauerkonsum von Süßigkeiten sowie chronisches Zuspätkom men zu erleichtern suchte. Wenn er überhaupt auftauchte, sah er fast immer so aus, als hätte er sich gerade erst aus dem Bett gewälzt. Unser Sportlehrer brüllte ihn jeden Morgen an, weil er wieder einmal etwas Essbares in die Turnhalle geschmuggelt hatte, was streng verboten war. Doch in Macons Rucksack und sämtlichen Taschen steckten immer Coladosen, Keksrollen, Schokoriegel . . . Außerdem war er der unangefochtene Meister der gefälschten Entschuldigungen.
»Ich hoffe für dich, dass du eine Entschuldigung dabeihast«, lautete Mr van
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