Someone like you - Dessen, S: Someone like you
plötzlich als cool galt, sich anzuhören, was mein
Vater
zu sagen hatte.
Der Höhepunkt an Nerverei wurde allerdings erreicht, wenn er über
mich
sprach. Eines Morgens vor der Schule stand ich in der Tanke, und natürlich lief T104. Leute riefen an, um von ihren peinlichsten Erlebnissen zu erzählen. Die halbe Schule war anwesend; alle deckten sich eifrig mit Zigaretten, Keksen, Süßigkeiten ein, um für sämtliche Gelüste nach Nikotin und Zucker gewappnet zu sein. Ich war gerade an der Spitze der Schlange vor der Kasse angekommen, als ich meinen Namen hörte.
»Mir fällt zu dem Thema eine Geschichte ein, da war unsere Tochter Halley etwa drei Jahre alt«, verkündete mein Vater. »Glauben Sie mir, ich habe selten etwas Komischeres erlebt. Wir waren bei Nachbarn eingeladen, je der hatte etwas zu essen mitgebracht und meine Frau und ich . . .«
|84| Ich spürte, wie ich jetzt schon rot wurde. Mit jedem Wort, das er sagte, stieg meine Körpertemperatur um weitere zwei Grad an. Und natürlich musste der Kassierer exakt in diesem Moment die Papierrolle auswechseln. Ich saß hoffnungslos in der Falle.
»Wir unterhielten uns mit ein paar Freunden, und zwar standen wir direkt neben einer riesigen, schlammigen Pfütze. Es hatte in den Tagen zuvor mehrere heftige Regengüsse gegeben, deshalb war alles noch ein bisschen nass und matschig, Sie können sich das sicher vorstellen. Jedenfalls rief Halley plötzlich: ›Papa! Ich komme!‹ Meine Frau und ich blickten ihr entgegen. Sie rannte auf uns zu, wie kleine Kinder eben rennen, ein bisschen unsicher und wackelig auf den Beinen.«
»Mist!« Der Typ an der Kasse schlug mit der Faust drauf, denn die Papierrolle ließ sich einfach nicht einfädeln. Ich saß nicht nur in der Falle, ich war direkt in der Hölle gelandet.
»Und während sie so auf mich zulief«, fuhr mein Vater fort und gluckste dabei vor Vergnügen, »dachte ich auf einmal:
Sie wird mittendrin landen.
Ich schwöre Ihnen, ich sah es kommen, bevor es passierte.«
Hinter mir fing jemand an zu kichern. Mein Magen schlug einen Salto rückwärts.
»Sie rannte auf die Pfütze zu, in die Pfütze hinein – und zack! Sie verlor den Halt. Die Füße rutschten ihr einfach weg.« Mein Vater konnte nicht mehr an sich halten und brach in Gelächter aus. Und im gesamten Sendegebiet lachten ungefähr – lasst mich nicht lügen – dreitausend Millionen Pendler und Büroangestellte mit. »Sie rutschte auf ihrem Hosenboden durch die Pfütze und sah aus wie vom Donner gerührt. Ihr Gesichtsausdruck war wirklich |85| unbezahlbar. Sie rutschte also einmal quer durch, bis sie unmittelbar vor unseren Füßen landete, von oben und unten mit Matsch bespritzt. Wir versuchten mühsam uns das Lachen zu verkneifen, aber es war nicht leicht. Wie schon gesagt, ich schätze, das war das Komischste, was ich in meinem ganzen Leben gesehen habe.«
»Macht eins neunzehn«, sagte der Kassierer unverhofft. Ich stopfte ihm eine Dollarnote und ein paar Münzen in die Hand. Drängelte mich an den grinsenden Visagen der anderen vorbei nach draußen, zum Auto, wo Scarlett auf mich wartete.
»Mannomann«, meinte sie, als ich auf den Beifahrersitz schlüpfte. »Auf einer Skala von eins bis zehn – wie peinlich war das?«
»Halt die Klappe«, antwortete ich. Den lieben Tag lang musste ich mir Matschwitze anhören. Leute stießen mich in die Seite und fingen an zu kichern. Macon nannte mich nur noch Matschhöschen. Es war eine Katastrophe.
»Entschuldige«, sagte mein Vater abends zu mir, kaum dass ich zur Tür hereingekommen war. Ich ignorierte ihn, ging an ihm vorbei die Treppe hinauf. »Tut mir wirklich sehr Leid, Halley. Es ist mir einfach so rausgerutscht.«
»Brian, vielleicht wäre es angebracht«, meinte meine Mutter, »wenn du Halley und Halleys Leben aus deiner Arbeit raushieltest, okay?«
Ausgerechnet! Wer hatte denn zwei Bücher über mich geschrieben? Meine Mutter. Meine Eltern verdienten ihren Lebensunterhalt damit, mich peinlichen Situationen auszusetzen.
»Ich weiß. Ich verspreche es.« Aber er musste schon wieder halb lachen. »Trotzdem, es war einfach zu komisch, gib’s zu. Das fandest du damals auch.« Er kicherte in sich |86| hinein, versuchte dann aber schnell wieder ernst zu werden. Sah mich an, zwinkerte mir versöhnlich zu. »Es war schon komisch.«
»Klar«, meinte ich. »Zum Totlachen.«
Dies nur als ein Beispiel dafür, wie meine Eltern in je nem Herbst drauf waren. Zum Verrücktwerden. Und im Radio
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