Someone like you - Dessen, S: Someone like you
bald mit ihm schlief. Er gab mir einen Gutenachtkuss und ging; ich stand in der offenen Haustür und sah ihm nach. Als er um die Ecke bog, hupte er, wie jedes Mal.
Dann war er fort. Ich dachte an die Halley-Figur, die nur |228| aus schwarzen Linien bestand. Stellte mir vor, wie die Umrisse gerade ausgemalt wurden. Wie erste Farben zum Vorschein kamen. Das Mädchen, das ich gewesen war – das Mädchen, das ich jetzt war. Ich versuchte mich selbst davon zu überzeugen, dass es bei den vielen, drastischen Veränderungen, die seit kurzem mit mir und in meinem Leben vorgingen, auf eine mehr oder weniger nicht mehr ankam. Doch dann fiel mir jedes Mal Scarlett ein – immer wieder Scarlett – und zwar im Zusammenhang mit jener
neuen
Farbe.
Der
Farbe, die ich für mich noch nicht akzeptieren konnte. Ich konnte einfach nicht. Noch nicht.
Als ich zu Scarlett rüberging, um mich zu verabschieden, waren Küchentisch und sämtliche Arbeitsflächen mit Sachen aus dem Kühlschrank voll gestellt. Sie selbst kauerte mit Eimer und Schwamm vor dem Kühlschrank und schrubbte, was das Zeug hielt.
»Riechst du das auch?«, fragte sie ohne sich umzudrehen, noch bevor ich überhaupt den Mund aufgemacht hatte. Sie hätte sich auch gar nicht umzudrehen brauchen, denn die Schwangerschaft schärfte all ihre Sinne. Manchmal kam es mir vor, als hätte sie am Hinterkopf ein zusätz liches Augenpaar entwickelt, so fein war ihre Wahrnehmung.
»Was soll ich riechen?«
»Du riechst das nicht?« Jetzt wandte sie sich doch zu mir um, deutete vorwurfsvoll mit dem Schwamm auf mich, atmete tief durch und schloss die Augen. »Das da. Was hier so ekelhaft stinkt.«
Ich sog prüfend die Luft durch die Nase, doch alles, was ich roch, war das Chlormittel aus dem Eimer. »Tut mir Leid, ich rieche nichts Schlimmes.«
|229| »Mist.« Beim Aufstehen musste sie sich an der Kühlschranktür festhalten. Es fiel ihr immer schwerer, sich aufzurichten; ihr wachsender Bauch veränderte ihr Gleichgewichtsgefühl. »Cameron konnte es auch nicht riechen, meinte, ich würde es mir einbilden. Aber ich schwöre, irgendwas stinkt hier so ätzend, dass ich permanent wür gen könnte. Seit ich versuche den Gestank loszuwerden, halte ich buchstäblich die Luft an.«
Die Schwangerschaftsbibel lag auf dem Tisch, aufgeschlagen bei dem Kapitel über den fünften Monat, der sich mit Riesenschritten näherte. Ich blätterte darin, während Scarlett sich über die Gemüseschublade beugte und mit kraus gezogener Nase wie ein Berserker schrubbte.
»Seite vierundsiebzig, letzter Absatz«, las ich vor, wobei ich den Zeilen mit meinem Zeigefinger folgte. »Ich zitiere: ›Dein Geruchssinn könnte während der Schwangerschaft intensiver werden, was möglicherweise dazu führt, dass du vor bestimmten Nahrungsmitteln Widerwillen empfindest.‹«
Das ignorierte sie völlig, murmelte nur: »Ich fasse es nicht, dass du das nicht riechst.«
»Was hast du vor? Willst du das ganze Haus von oben bis unten so schrubben?«, fragte ich. Scarlett montierte das Butterfach ab, begutachtete es und pfefferte es in den Eimer.
»Wenn es sein muss.«
»Das ist doch gaga.«
»Nein, ich bin schwanger und nicht gaga, sondern habe ein paar Macken mehr als sonst. Und weil ich schwanger bin, darf ich das. Hat die Ärztin gesagt. Also halt die Klappe.«
Ich nahm mir einen Küchenstuhl, setzte mich und stütz te |230| einen Ellbogen auf den Tisch. Jedes Mal, wenn ich mich jetzt in Scarletts Küche aufhielt, musste ich an die vielen Sommerferien denken, die wir Tag für Tag in diesem Raum verbracht hatten, an diesem Tisch. Das Radio lief, wir buken Brownies oder tanzten barfuß über den Linoleumboden, die Musik auf voller Lautstärke.
Ich blätterte weiter durch das Buch. »Hör zu«, sagte ich. »Die Voraussage für Dezember lautet: ›häufig Verstopfung, Krämpfe in den Beinen, geschwollene Fußgelenke.‹ Jede Menge netter Kleinigkeiten, auf die wir uns freuen kön nen .«
»Ist ja reizend.« Sie ließ sich zurücksinken, so dass sie auf den Fersen hockte, und warf den Schwamm in den Eimer. »Was noch?«
»Mmmh . . . Krampfadern eventuell. Und es ist entweder schwieriger oder leichter, zum Orgasmus zu gelangen.«
Sie drehte sich zu mir um, strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Halley, bitte! Und so was kommt ausgerechnet von dir.«
»Ich lese bloß vor, was da steht.«
»Aber gerade du solltest wissen, dass Orgasmen auf meiner Prioritätenliste wirklich nicht an oberster Stelle stehen.
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