Someone like you - Dessen, S: Someone like you
Augen schloss. Für den Bruchteil einer Sekunde huschte über meine Netzhaut das Gesicht meiner Mutter, ihr Gesichtsausdruck eine einzige Anklage, die mir verkündete, ich mache einen Fehler; das, was ich da tue, sei verboten und falsch.
Über unseren Köpfen rauschte ein Flugzeug nach dem anderen hinweg und ließ die Fenster rattern. Immer wieder ließ Macon seine Hand unter meinen Hosenbund wandern, ging weiter als je zuvor. Und immer wieder schob ich seine Hand sanft von mir weg. Wir hatten meinen Radiowecker bei niedriger Lautstärke angestellt, damit wir mitkriegten, wo mein Vater steckte; doch irgendwann hörte auch das auf. Stille und wir – etwas anderes gab es nicht. Macon flüsterte mir Zärtlichkeiten ins Ohr. Seine Stimme war ganz nah, sanft, leise, ein wenig rau. Er streichelte meinen Nacken. Es fühlte sich alles so gut an; ich merkte, wie ich alles um mich herum vergaß, mich immer weiter auf das, was geschah, einließ, ihn machen ließ, bis plötzlich –
»Nein!« Er versuchte meine Jeans zu öffnen. Ich hielt seine Hand fest. »Keine gute Idee.«
»Warum nicht?« Seine Stimme klang gedämpft an meinem Hals.
»Du weißt, warum nicht.«
»Weiß ich nicht.«
»Macon!«
»Was regst du dich so auf?« Er rollte sich auf den Rü cken , sein Kopf lag auf meinem Kissen. Sein Hemd war |226| aufgeknöpft, seine Hand lag mit gespreizten Fingern auf meinem nackten Bauch.
»Ich rege mich auf, weil das hier mein Bett ist im Haus meiner Eltern und mein Vater jeden Augenblick heimkommen kann. Wenn er uns erwischt . . . ich sag’s dir, es wäre die Megakatastrophe.«
Macon drehte sich um und stellte den Radiowecker wieder lauter. Die Stimme meines Vaters drang durch den Raum:
Also, Leute, kommt alle zur Reinigung der Simpsons, hier gibt es Supersonderangebote und faire Preise und jede Menge Torte – ach, es gibt tatsächlich Torte? – ja, wer kann denn schon Nein sagen, wenn es Torte gibt? Ich heiße Brian und werde bis neun Uhr hier mitfeiern, bei der Eröffnung die
ses
großartigen Reinigungsunternehmens.
Macon sah mich bloß an und genoss, dass er mir das Gegenteil beweisen konnte. Nämlich dass mein Vater
nicht
so bald nach Hause kommen würde.
»Trotzdem ist es keine gute Idee.« Ich langte über seinen Kopf und schaltete die Nachttischlampe ein. Auf einmal erkannte ich mein Zimmer wieder. Alles war an seinem Platz, die vielen, mir so vertrauten Gegenstände, Orientierungspunkte meines Lebens: mein Bett, mein Teppich, meine Stofftiere, die ordentlich nebeneinander aufgereiht auf dem dritten Brett meines Bücherregals hockten. In der Mitte ein kleines grünes Schwein, das mir Noah Vaughn vor zwei Jahren zum Valentinstag geschenkt hatte. Noahs Hand war nie weiter gewandert als bis zu meinem Ausschnitt, hatte nie geschickt Mittel und Wege gefunden, zu Stellen meines Körpers vorzudringen, die ich vehement zu schützen suchte. Noah Vaughn war glücklich gewesen, wenn er meine Hand halten durfte.
»Halley, ich bin echt dafür zu warten und so und war ja |227| auch bisher sehr geduldig, finde ich, aber wir sind jetzt seit fast drei Monaten zusammen«, sagte Macon halblaut.
»Fast drei Monate sind nicht besonders lang.« Ich zupfte an der Stelle in meiner Bettdecke herum, die ohnehin schon ziemlich zerschlissen war.
»Für mich schon.« Er robbte ein wenig näher an mich heran, legte seinen Kopf in meinen Schoß. Aus irgendeinem Grund schoss mir durch den Kopf, dass er das garantiert nicht zum ersten Mal machte. »Denk wenigstens darüber nach, okay? Und wir passen auf, versprochen.«
»Ich werde darüber nachdenken.« Ich wühlte mit den Händen zärtlich in seinen Haaren. Macon schloss die Augen. Und ich
dachte
drüber nach. Ich dachte praktisch an nichts anderes mehr. Aber jedes Mal, wenn ich der Versuchung fast erlegen war, wenn ich nachgeben und meine Abwehr sausen lassen wollte, dachte ich
auch
an Scarlett. Natürlich dachte ich an Scarlett. Sie hatte ebenfalls geglaubt, sie und Michael wären vorsichtig, würden aufpassen.
Kurze Zeit später ging er. Wollte nicht bleiben und fernsehen oder einfach bloß abhängen und quatschen. Etwas veränderte sich zwischen uns. Ich spürte es, obwohl die Situation Neuland für mich war; aber ich erahnte die Verän derung intuitiv, in etwa so wie Babyschildkröten den rettenden Weg über den Strand zum Wasser finden, obwohl sie gerade erst geschlüpft sind. Sie
wissen
es einfach. Und
ich
wusste, dass ich Macon vermutlich verlieren würde, falls ich nicht
Weitere Kostenlose Bücher