Someone like you - Dessen, S: Someone like you
Macon, wollte wissen, wo er war. Doch sie antwortete nicht auf meine Fragen, sondern sagte stattdessen, ich solle mich ausruhen, solle versuchen zu schlafen. Sie werde später noch einmal kommen und nach mir sehen. Ach ja, |292| und übrigens – meine Schwester würde schon draußen warten.
»Meine Schwester?« Doch da zog sie auch schon die Vorhänge beiseite und Scarlett kam herein. Sie sah aus, als wäre sie quasi aus dem Bett gefallen, denn sie trug das lange Flanellhemd, das sie immer zum Schlafen anhat. Ihre Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihr Bauch schien, sofern das möglich war, in den letzten paar Stunden weiter gewachsen zu sein.
»Meine Güte, Halley!« Sie blieb stehen, als sie meine Verletzungen sah, und schaute mich forschend an. Ich merkte ihr an, dass sie Schiss hatte, es aber nicht zeigen wollte. »Was ist denn mit dir passiert?«
»Wir hatten einen Unfall.«
»Und wo ist Macon?«, fragte Scarlett. Es war wohl eher als rhetorische Frage gemeint, doch das kapierte ich nicht. Wie auch?
»Keine Ahnung.« Ich hatte das Gefühl, jeden Augenblick losheulen zu müssen. Außerdem tat mir plötzlich alles weh, und zwar alles auf einmal. »Ist er denn nicht draußen vor der Tür?«
»Nein«, meinte sie knapp und ihre Lippen wurden schmal. »Ich habe ihn nirgendwo gesehen.«
»Er musste beim Unfallort bleiben. Sagte, er würde gleich nachkommen. Er ist fast durchgedreht vor Sorge.«
»Sehr gut«, zischte sie erbost. »Er hat dich beinahe umgebracht.«
Ich schloss die Augen. Nebenan piepte ein medizinisches Gerät vor sich hin. Aus irgendeinem Grund erinnerte es mich an die Glocke in Oma Halleys Treppenhaus.
Wir schwiegen. »Ich hab’s nicht getan«, sagte ich |293| schließlich. »Nur für den Fall, dass du dich gefragt hast, ob.«
»Nein, noch nicht«, antwortete sie. »Aber ich bin froh, dass du es nicht getan hast.«
»Wenn meine Eltern mitkriegen, was passiert ist, machen sie mich fertig.« Ich war so müde, dass ich kaum noch sprechen konnte. »Sie verbieten mir bis in alle Ewigkeiten mich mit Macon zu treffen.«
»Er ist nicht einmal hier, Halley«, antwortete Scarlett behutsam.
»Weil er beim Unfallort bleiben musste«, wiederholte ich wie ein Papagei.
»Das war vor mehr als anderthalb Stunden. Ich habe im Warteraum mit einem Polizisten geredet, der auch rausfinden wollte, wie es dir geht. Habe ihn nach Macon gefragt. Aber der ist abgehauen.«
»Nein.« Ich kämpfte gegen den Schlaf, der mich zu überwältigen drohte. »Er kommt bestimmt gleich.«
»Ach, Halley.« Ihre Stimme klang unendlich traurig. »Es tut mir so Leid für dich. Wirklich so Leid.« Doch ihr Gesicht wurde immer verschwommener, das Piepen zunehmend schwächer. Ich dämmerte weg.
Als ich wieder aufwachte, sah ich als Erstes einen Footballspieler auf dem Fernsehbildschirm über meinem Bett. Er rannte dem Ball entgegen, der in weitem Bogen durch die Luft flog. Sprang hoch, schnappte sich das Ei, stürmte im Slalom los, um die anderen Spieler herum. Zwängte sich durch Körper, Schulterpolster, Helme, während das Publikum tobte. Nachdem er über die Linie geschossen war, ließ er den Ball betont triumphierend auf dem Boden aufprallen und gab dem Mannschaftskameraden, der am |294| nächsten stand, High Five. Die Kamera richtete sich groß auf sein strahlendes Gesicht, seine siegreich erhobene Faust. Touchdown.
»Hallo.« Die Stimme meiner Mutter. Ich wandte den Kopf. Sie saß auf einem Stuhl an meinem Bett. »Wie fühlst du dich?«
»Okay.« Mein Vater saß in dem kitschigen mexikanischen Hemd, das er zu jeder Silvesterparty trug, auf dem leeren Bett neben meinem. »Wann seid ihr gekommen?«
»Ist noch nicht lange her.« Ich warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Meine Mutter streckte die Hand aus und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Berührte vorsichtig den Verband an meinem Auge. Es war halb vier. Nachts? Nachmittags? Ich war mir nicht sicher. »Halley, mein Schatz, du hast uns einen Riesenschreck eingejagt.«
»Tut mir Leid.« Das Sprechen fiel mir schwer, ich musste richtig arbeiten, um meinen Mund zu bewegen, so mü de war ich. »Ich habe euch die Party ruiniert.«
»Die Party ist mir so egal.« Sie wirkte ebenfalls müde. Und traurig – derselbe Gesichtsausdruck, den ich in der Woche bei Oma Halley ebenfalls so häufig an ihr wahrgenommen hatte. »Wo bist du gewesen? Was ist passiert?«
»Julie«, mischte sich mein Vater mit belegter Stimme ein. »Lass sie schlafen. Das
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