Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch
mich.
»Aus reiner Höflichkeit von Kollege zu Kollege: Das geht Sie einen feuchten Kehricht an«, gab er zurück und klang dabei ganz so, als müsse er das jeden Tag aufs Neue wer weiß wie oft sagen.
Wie üblich, fühlte sich die Stadt wie verlassen an. Gatz war clever genug, ein paar Umwege zu machen, um uns Zeit zu verschaffen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, schließlich war ich davon überzeugt, mit Orel nicht fertig zu werden – ganz gewiss nicht ohne Waffe, und selbst wenn ich noch etwas anderes bei mir gehabt hätte als nur meinen messerscharfen Verstand, war ich mir nicht sicher, gegen ihn ankommen zu können.
»Ihr Scheiß-Techie, Mr Cates, hat mich nach Strich und Faden ausgenommen. Ich suche schon seit Monaten nach ihm«, grollte Orel schließlich. »Der kleine Scheißer kann wirklich einfach verschwinden. Hören Sie, ich könnte Ihnen ja vielleicht einen Anteil dessen zukommen lassen, was ich von ihm zurückbekomme, sagen wir: dafür, dass Sie mich zu ihm geführt haben. Einen Finderlohn, sozusagen.«
Ganovenehre, ging es mir durch den Kopf. Orel fühlte sich nicht recht wohl dabei, mich dazu zu zwingen, einen meiner eigenen Leute zu dessen Hinrichtung freizugeben, und so wollte er mich ein wenig besänftigen. Das brachte mich auf den Gedanken, ich hätte vielleicht doch zumindest einen gewissen Einfluss auf den alten Mann.
»Mir hat er erklärt, er sei auf der Flucht vor dem SSD.« Ich ging weiter.
Abschätzig schnaubte Orel. »Wir alle sind auf der Flucht vor den System-Bullen, Cates! Mr Kieth flieht vor allem vor mir.«
Ich räusperte mich kurz und bemühte mich redlich, meine Stimme möglichst fest klingen zu lassen; ich hatte mich dafür entschieden, ein kalkuliertes Risiko einzugehen. »Ich glaube nicht, dass er allzu viel Geld hat, Orel.«
Einige Schritte gingen wir schweigend weiter, sanft spürte ich die Regentropfen auf meinem Gesicht. Dann: »Naja, er gehört jawohl zu Ihnen, Cates. Vielleicht haben Sie ja Geld …«
Hochstimmung erfasste mich, als sich allmählich ein Plan herauskristallisierte.
»… oder vielleicht werde ich den Mistkerl auch nur ausweiden, damit ich nachts besser schlafen kann. Wer ist eigentlich die Braut da?«
Ich schaute zu Marilyn Harper hinüber, und meine Hoffnung legte sich wieder ein bisschen. »Eine Vid-Reporterin. Hat mich irgendwie wiedererkannt.«
»Verdammte Dilettanten«, spie Canny Orel aus. »Denen gehört die ganze Scheiß-Welt, aber sie langweilen sich. Bloß nicht irgendjemanden einstellen, der den Job dringend braucht! Da spielt man lieber selbst ein bisschen herum, bis man Lust auf irgendetwas anderes hat.« Ich spürte, dass er einige Schritte lang meinen Rücken anstarrte. »Ist aber nett ruhig und kooperativ, die Frau. Das haben wir wohl Ihrem Freund zu verdanken«, sagte er dann leise. »Sie muss trotzdem verschwinden.«
Ich legte die Stirn in Falten. »Mit der werde ich schon fertig.« Ich hatte nun wirklich nichts übrig für verwöhnte kleine Mädchen, die ›Reporterin‹ spielten, während meine Freunde jeden Tag aufs Neue durch die Scheiße schwimmen mussten, um irgendwie etwas zu Beißen zu finden, aber irgendwie passte es mir nicht, jemanden einfach zu erschießen, bloß weil er einem in die Quere gekommen war. Das war mir zu primitiv.
»Ach ja? Wie denn?«
Ich blickte schnurgeradeaus, schaute Gatz’ Hinterkopf an. »Wir haben sie dazu gebracht, die Dinge so zu sehen, wie wir das wollen. Stimmt’s nicht, Marilyn?«
Es dauerte einen Augenblick, dann nickte sie steif. »Ja.«
»Sie wird meine Heldentaten filmen«, erklärte ich fröhlich. »Ich werde berühmt!«
Hinter mir stieß Orel einen Grunzlaut aus. »Sieht nicht so aus, als könne ihr Mann da vorne sie noch lange kontrollieren, so wie der schwitzt. Lassen wir die Scheiße und gehen jetzt gleich zu Ihrem Hauptquartier, damit ich so schnell wie möglich meine Verhandlungen mit dem guten alten Ty aufnehmen kann.«
Gatz drehte sich schon nach uns um, und mein Herz setzte einen Schlag lang aus, doch Orel versetzte mir einen heftigen Stoß.
»Augen geradeaus, Mr Gatz! Ich möchte Sie wirklich nicht umbringen müssen, aber schlaflose Nächste würde mir das auch nicht bereiten.«
Orel wusste mehr über uns, als mir lieb war. Als wir die Fabrik erreicht hatten, versuchte ich noch einen Schachzug, um Ty so viel Arger wie nur möglich zu ersparen. Das Gebäude wirkte verriegelt und verlassen, als wir ankamen. Ich spürte dieses vertraute Bedröhnt-Sein, von
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