Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch
selbst abgesehen. Aber über mich selbst konnte ich ja bloß sagen: bis jetzt überlebt. Canny Orel war einfach der Beste gewesen, und er hatte immer einen Grund gehabt. Ich wollte, dass er jetzt hier vor mir stand.
»Meine Herren«, sagte er, und sein Lächeln schwand. »Sie dürfen mich ›Mr Orel‹ nennen. Aber jetzt ist’s genug mit diesem Fandom-Scheiß, ja? Kommen wir zum Geschäft.«
Plötzliche Panik ergriff mich. Das ist doch kein beschissener Zufall, dachte ich. Irgendjemand hatte diesen Mann angeheuert, hatte ihn mir gezielt hinterhergeschickt. Ich schloss die Augen. Ich wusste nicht, ob Moje dahintersteckte, oder die Cyber-Kirche oder wer auch immer, aber irgendjemand hatte tatsächlich gutes Geld auf den Tisch gelegt, um den Besten der Besten dafür anzuheuern, mich aus dem Weg zu räumen. Wenigstens wusste ich jetzt, dass die Leute bei ›Pickering’s‹, wenn sie von mir sprachen, in Zukunft berichten würden, mich habe eine echte Legende erledigt. Ich würde selbst zu einer Legende werden. Wer auch immer Canny Orel aufgetrieben und angeheuert hatte: Wenigstens das würde mir bleiben.
Und ich dachte sehnsüchtig an die Mönche und ihre Nuklearbatterien. Ich dachte an Bruder West, der zwar den Verstand verloren hatte, aber immer noch lebte, ewig leben würde, bis ans Ende aller Zeiten. Plötzlich war ich mir aus unerfindlichen Gründen sehr, sehr sicher, dass ich jetzt sterben würde.
Ich blickte zu Cannys Waffen hinüber, überlegte mir, wie ich wohl flüchten könnte, in welche Richtung. Es hatte keinen Sinn. Mein Herz hämmerte mir bis zum Hals, doch ich nickte. »Okay.« Ich würde nicht um mein Leben betteln. Ich würde mich hier nicht selbst erniedrigen. Ich wollte, dass Canny Orel mich für den härtesten Burschen hielt, dem er jemals im Leben begegnet war.
»Ein wirklich guter Auftritt, Mr Cates.« Er schob eine Patrone in die Kammer seiner Waffe. »Und jetzt sagen Sie mir: Wo zum Teufel steckt dieser schleimige Dreckskerl Ty Kieth?«
XXI
Das wahrscheinlichste Endergebnis
dieses kleinen Abenteuers
01100
»Ich habe von Ihnen gehört, wissen Sie?«
Wir spazierten durch London. Gatz hatte die Führung übernommen; trotz des Regens trug er immer noch die Sonnenbrille. Nach Süden zu der einsturzgefährdeten Brücke hinüber, in der so große Lücken klafften, dass man einige große, äußerst beunruhigende Sprünge vollführen musste, an diesem gewaltigen Denkmal für geborstenes Glas und verbogene Eisenbahnscheinen vorbei, das einmal als ›Waterloo Station‹ bekannt gewesen war-was auch immer das nun gewesen sein mochte –, und schließlich in dieses Labyrinth verschlungener kleiner Gässchen hinein, die allesamt gleich aussahen. Ich war der Ansicht, ich hätte mich recht gut herausgeputzt, doch sowohl Gatz als auch ich sahen im Vergleich zu unseren neuen Freunden doch eher ungepflegt, unrasiert und im Ganzen einfach unappetitlich aus. Marilyn Harper begleitete uns; Gatz hatte sie so ›gepusht‹, dass sie ihm folgte und dabei den Mund hielt. Hinter ihr kam ich; allmählich war ich nicht mehr so gut in Form. Ich war immer noch unbewaffnet, und ein gewisses Arschloch namens Jerry Materiel war jetzt mit zwanzig meiner Yen verschwunden.
Den Abschluss, strahlend sauber wie ein funkelnagelneuer Penny, bildete Canny Orel, der berühmteste Revolverheld der Menschheitsgeschichte. Oder zumindest der letzten zwanzig Jahre, was im Prinzip auf das Gleiche hinauslief.
Er sah sogar berühmt aus. Er wirkte reich, wohlgenährt und einfach schick, und dabei bewegte er sich immer noch mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Seine Haut war trocken, fast wie Papier, und hatte einen gesunden Rosaton. Sein Haar war weiß, dabei aber aufwendig frisiert. Seine Hände waren so schnell, dass er sich nicht einmal die Mühe machte, weiterhin die Waffe auf mich zu richten, während wir weitermarschierten, und ich wagte es immer noch nicht, mich mit ihm anzulegen. Canny Orel umgab eine Aura des ewigen Erfolgs.
»Tatsächlich?«, fragte ich nach.
»Allerdings, mein Freund. Habe hier und da etwas über Sie aufgeschnappt. Für mich klang das immer so, als hätten Sie deutlich mehr Glück als Talent. Sieht ganz so aus, als hätten Sie sich dieses Mal ein bisschen zu viel vorgenommen, was?«
Seine Stimme war tief und melodisch. Es klang fast, als würde er alles beinahe schon singen.
»Also, aus reiner Höflichkeit von Kollege zu Kollege, warum sind Sie hinter meinem Techie her?«, erkundigte ich
Weitere Kostenlose Bücher