Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch
Staub angesetzt. Es war eine Geisterstadt. Sabberkopp blieb vor einer Gruppe Männer stehen, die für die Wohlfahrtsmeile ein wenig zu wohlgenährt wirkten, und deutete auf einen der Männer.
»Hier itht Jer«, spuckte er. »Der mit der gebrochenen Nathe.«
Ich ignorierte die Handfläche, die mir Sabberkopp entgegenstreckte, und trat näher an die Gruppe heran. Einer der Männer hatte tatsächlich eine übelst zugerichtete Nase, die jetzt bemerkenswert schief stand. Ich nickte ihm zu. »Bist du Jerry Materiel?«
Er begutachtete Gatz und mich ausgiebigst. »Kann schon sein. Wer bis’n du?«
Er sprach mit einem so breiten Akzent, dass ich ihn kaum verstand. Nachdem ich mich durch die verschliffenen Silben hindurchgekämpft hatte, kniff ich die Augen zusammen, bis ich glaubte, jetzt unergründlich und gefährlich zu wirken. Das hatte schon so manches Mal funktioniert. »Avery Gates, aus New York.«
Mein Gegenüber sah mich noch ein wenig länger an, dann stieß er einen Grunzlaut aus. Ich kannte mich gut genug mit Leuten wie diesem Jerry aus, um zu erkennen, dass das bedeutete, mein Name sei ihm ein Begriff. »Macht mal Düse. Jungs.« Die Männer, die bei ihm gestanden hatten, zogen sich ein paar Schritte zurück, rauchten Zigaretten und unterhielten sich. Die Zigaretten zeichneten sie als recht wohlhabende Gauner aus; es war schon Wochen her, dass ich das letzte Mal an genügend Kippen gekommen war.
»Cates aus Enn-Jay also«, grunzte Jerry Materiel und begutachtete mich ein drittes Mal. »Hab gehört, du hast bei diesem Kendish die Cap’n-Kirk-Nummer abgezogen. Das warste doch, oder nich?«
Kendish … Kurz musste ich nachdenken, dann kam mir die Erleuchtung. Mitchell Kendish war ein Unterstaatssekretär des Einheitsrates gewesen. Der hatte eine Untersuchung gegen eine Gruppe eingeleitet, die Schweber der SSD-Wäscherei geklaut und sie dann zerlegt hatten; die Einzelteile verkauften sie anschließend wieder dem SSD, damit sie damit die noch verbliebenen Schweber reparieren konnten. Das war natürlich ein Geniestreich gewesen, doch dieser Kendish hatte alles vermasselt. Die Unterstaatssekretäre, also die Leute, die einen Großteil aller anfallenden Arbeiten erledigten, um das System tatsächlich am Laufen zu halten, ließen sich normalerweise bestechen – sie waren die Schlimmsten im ganzen verfluchten System, schlimmer noch als die System-Cops, weil sie noch nicht einmal eine Abteilung für Innere Angelegenheiten hatten, die sie im Auge behielt und sich wenigstens hin und wieder einmischte.
Das Einzige, was diese ganze Maschinerie des Wahnsinns überhaupt noch am Laufen hielt, waren wirklich die Bestechungsgelder. Wie korrupt und verdorben die Maschine auch sein mochte, jeder konnte sich auf die Zauberkräfte des Yen verlassen, und das stabilisierte die Lage nun mal. Aber Kendish wollte mit Bestechung nicht das Geringste zu tun haben. Also hatte man mich angeheuert, ihn aus dem Weg zu räumen. Mir war’s egal; man wurde kein Unterstaatssekretär, wenn man eigentlich ein Heiliger war, und der Preis, den man mir geboten hatte, war wirklich fair gewesen. Das war mein bis dahin beachtenswertester Auftrag gewesen – und einer der wenigen, die ganz ohne Schwierigkeiten abgelaufen waren: professionell und sauber. Sehnsüchtig dachte ich an das Geld, das man mir dafür gezahlt hatte. War schon lange wieder ausgegeben: bei ›Pickering’s‹ und für jede Menge Scheiß. »Jau, das mit Kendish war ich.«
Jerry nickte. »Na gut, dann kenn ich dich. Was kann Jerry denn nu für Mr Avery Cates aus Enn-Jay tun, hä?« Mit zusammengekniffenen Augen schaute er mich an. Ich trug immer noch die Klamotten, die ich mir vor meinem Abflug organisiert hatte, und sie sahen immer noch nicht allzu wüst aus, schließlich hatte ich jetzt schon bemerkenswerte zweiundsiebzig Stunden durchlebt, in denen niemand auf mich geschossen und niemand mich verprügelt hatte, und eine Verfolgungsjagd hatte ich auch noch nicht hinter mich bringen müssen. »Vorausgesetzt natürlich, Mr Cates hat auch genug Knete für was auch immer es nun sein soll, nich?«
Zur Antwort ließ ich ihn zuschauen, wie ich pflichtschuldigst Sabberkopp entlohnte, der die ganze Zeit über schweigend hinter mir gestanden und angesichts der auf ihn wartenden fünf Yen ekstatisch gegrinst hatte. »Yen hab ich«, sagte ich. »Hast du ein Büro?«
Jerry Materiel breitete die Arme aus und lächelte; seine Zähne waren braun und nur noch rudimentär vorhanden. »Die
Weitere Kostenlose Bücher