Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch
ganze Straße hier ist mein Büro, Mr Cates! Sagense schon, wasse brauchen!«
Ich hatte mir mühevoll eine Liste zusammengestellt. »Zwei oder drei von den Dingern hier wären prima.«
Jerry betrachtete die Liste, hob eine Augenbraue und leckte sich geistesabwesend über den Daumen. »Du weiß auf jeden Fall, wasse tust. Aber ich brauch ’ne Sicherheit, nich? Sagen wer mal zwanzig, das würd mich schon was beruhigen, nich?« Er zog einen kleinen tragbaren Credit-Scanner aus der Tasche. Als ich mich kurz umschaute, stutzte ich: ein Stück weiter die Straße hinab sah ich eine Person mit auffallend roten Haaren, die gerade hinter irgendetwas in Deckung ging. Dann führte ich mein Dongle in den Scanner ein; ein grünes Zeichen blinkte auf. Schließlich schaute ich wieder Jerry Materiel an, und er grinste über das ganze Gesicht.
»Musst dir keine Sorgen wegen der Cops machen, Cates. Die mischen die Meile hier nich auf. Ist doch zu langweilig für die! Wennde dir wegen irgendwas Sorgen machen willst, dann nimm die Scheiß-Blechköppe!«
Ich nickte. »Wegen der Mönche mache ich mir auch Sorgen«, sagte ich. »Das kannst du mir glauben. Außerdem brauche ich übrigens noch Baupläne. Alte Dinger, aus der Zeit vor der Vereinigung.«
Jerry blinzelte mir zu. »Is doch meine Spezialitätigkeit, Cates! Ich schau ma, was sich machen lässt. Haste ne Adresse?«
Ich reichte ihm einen weiteren Zettel. »Wo und wann, Mr Materiel?«
Kurz warf er einen Blick auf den zweiten Zettel, kaute auf der Unterlippe herum und schaute dann noch einmal die Liste an. »Hier, Mr Cates. In zwanzig Minütchen.«
»Abgemacht.« Ich beugte mich ein wenig zu ihm hinüber. »Sagen Sie mal, steht da hinten, ungefähr einen Häuserblock weit entfernt, eine rothaarige Frau? Sieht so aus, als würde die sich hinter der eingestürzten Mauer verstecken, aber eigentlich beobachtet die mich?«
Jerry Material wandte den Blick nicht von meinem Gesicht ab, doch jetzt erschien wieder dieses entsetzliche Grinsen, mit dem er seine braun-schwarzen Zähne entblößte. »Donnerschlag! Die hat dich auf jeden Fall im Auge behalten, Cates, schon seitde hier angekommen bis. Die gehört nich zum SSD, oder? Sonst wärste schon längst getürmt, stimmt’s?«
»Danke. In zwanzig Minuten also.«
Materiel deutete einen militärischen Salut an und verschmolz wieder mit der Warteschlange. Gatz trat dicht an mich heran, als wir es ihm gleichtaten. »Ist das deine Nachrichtensprecherin?«
Ich nickte knapp. »Genau die. Schauen wir doch mal, ob wir die nicht irgendwie von der Straße kriegen können.«
Wir gingen los. In London kannten wir uns nicht aus. In gewisser Hinsicht waren alle Städte irgendwie gleich: halb zerstört, nach den Ausschreitungen nie wieder richtig aufgebaut, und jedes Mal, wenn es irgendwo wegen der Lebensmittelknappheit zu neuen Ausschreitungen kam, wurden sie ein bisschen mehr dem Erdboden gleichgemacht. New York-vor allem Old New York, die ursprüngliche Stadt, bevor im Zuge der Urbanisierung ein Großteil der anderen Küstenstädte einfach damit zusammengewachsen waren und so die riesige, endlose Stadt gebildet hatten, die es heutzutage nun einmal gab – war ein einziges Gewirr aus Leuten, Leute, Leuten – Leuten, die sich auf den Straßen drängten, in den wenigen noch bewohnbaren Apartments, in den wenigen legalen Gasthäusern und den zahllosen, nur vorübergehend betriebenen illegalen Kneipen. Die graue Masse aus Männern und Frauen, die sich durch die Straßen wälzte, war ein Dauerzustand. Klar, wenn man in Manhattan über die Twentythird Street hinausging, wo die Wohlhabenderen lebten, dünnte sich das Ganze ein wenig aus, aber ich glaubte nicht, dass es in ganz New York irgendeine unbewohnbare Gegend gab, in der es nicht vor Leuten wimmelte. In London war das ganz anders: Die Stadt sah genauso beschädigt aus, die Gebäude waren genauso baufällig, und man sah auch die gleichen Hinterlassenschaften der Ausschreitungen, aber hier waren überhaupt keine Leute! Die Straßen waren wirklich vergleichsweise leer und erstreckten sich bis weiß Gott wo. In Manhattan konnte man sich von den Menschenmassen mitreißen lassen und wusste trotzdem ganz genau, wo man letztendlich ankommen würde. In London hatte ich das Gefühl, hier gebe es nichts anderes als enge, verschlungene Straßen, und der ganze Freiraum sorgte dafür, dass meine Haut regelrecht juckte. Ich fühlte mich schutzlos. Und in New York hatte man alles irgendwie wieder
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