Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch

Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch

Titel: Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Somers
Vom Netzwerk:
plötzlich wertvoll wurden, hatte ihr Übriges dazu beigetragen. Jetzt standen nur noch eine Seitenwand und der Großteil eines Turms, aufrecht gehalten von der Gnade Gottes oder durch sonst irgendwas, und die neu errichtete Mauer, die das Gelände umgab, war ein Ungetüm aus Schlackesteinen.
    Mit gemächlichen Schritten folgte ich Gatz. Nach und nach schritt er die ganze Schlange ab, erkundigte sich nach einem Waffenhändler, den Kieth uns empfohlen hatte. Ich hatte in London keinerlei Kontakte, deswegen befolgte ich seinen Ratschlag und hoffte auf das Beste. Es war ein grauer, regnerischer Tag, ein stetiger, feiner Nieselregel fiel und durchweichte einen bis auf die Knochen, bevor man ihn überhaupt bemerkte.
    Die ganze Zeit über musste ich an Bruder West denken, die arme Sau. Mich hatten Leute ja schon angefleht, sie nicht umzubringen. Aber noch nie hatte mich jemand gebeten, bei ihm endgültig den Stecker zu ziehen. Mit Freuden nahm ich Dick Marins Geld, mit Freuden war ich bereit, im Gegenzug für das, was er mir bot, wirklich jeden umzubringen, den er aus dem Weg geräumt wissen wollte – war doch nicht mein Problem. Aber nachdem ich West so erlebt hatte, begriff ich, dass es wirklich stimmte: Im Inneren eines jeden Mönchs befand sich ein echter, lebender Mensch, der unablässig digitale Schreie ausstieß, lautlos und ohne einen Mund.
    Ich folgte Gatz, die Hände tief in den Taschen vergraben, zog meine hartgesottenste Miene auf und starrte die Mönche an. Eine ganze Gruppe arbeitete sich auf der Wohlfahrtsmeile ab. Sie lächelten straßauf, straßab, erkundigten sich höflich, ob wohl jemand ihre persönlichen Erfahrungen würde hören wollen. Einige Interessenten fanden sie sogar tatsächlich: ausgemergelte, blasse Männer und Frauen mit ausdruckslosen Augen, die tief in den Höhlen lagen. Wahrscheinlich dachten sie, wenn sie sich der CK anschlossen, würden sie nicht einen ganzen Tag lang in der Schlange stehen müssen, bloß um sich das zu holen, was irgendein superreiches Arschloch für ›Almosen‹ hielt. Die Mönche waren einfach makellos: sauber, gepflegt, höflich, redegewandt – doch jedes Mal, wenn ich sie anschaute, sah ich einen endlosen, gequälten Schrei. Ich ballte die Hände in den Taschen zu Fäusten und hätte am liebsten jedem Einzelnen von denen das Latexgesicht heruntergerissen.
    »Ave«, sagte Gatz und winkte mich zu sich. »Der Kerl hier kennt unseren Mann.«
    Ich trat vor. Gatz stand neben einem kleinen, hageren Mann, der keinen einzigen Zahn mehr im Mund hatte; aus einem der Mundwinkel troff stetig Speichel. Der Kerl grinste mich an, und ich hätte ihm am liebsten einen Schlag in die Magengrube verpasst, bloß damit er mit diesem Grinsen aufhörte.
    »Du kennst Jerry Materiel?«, fragte ich.
    Sabberkopp nickte langsam. »Thicher, thicher«, lispelte er. »Der thteht jetzt in der Chthlange und macht Geschäfte. Ich könnte ihn euch dtheigen – für … thagen wir: fünf Yen?«
    Ich starrte ihn an, achtete sorgsam darauf, dass meine ›Hartgesottenen-Maske‹ nicht verschwand. Dann spürte ich, wie mich Gatz durch seine Sonnenbrille hindurch anschaute.
    »Soll ich ihm eine verpassen?«, fragte er.
    Ich mahlte mit den Zähnen. »Nein«, sagte ich dann entschieden. Es gab ja schließlich Regeln, oder es sollte sie wenigstens geben. Oder es hatte sie zumindest früher einmal gegeben. Wenn man sich immer nur mit jedem anlegte, dem man begegnete, wenn es immer nur Ärger gab, immer und überall, wo sollte das denn enden? Der Mann hatte mir ein ehrliches, faires Angebot gemacht. Ich zog einen Credit-Dongle aus der Tasche. »Also fünf, mein Freund – Zahlung bei Lieferung.«
    Glücklich nickte Sabberkopp, sodass der Speichel durch die Gegend flog, und trat aus der Warteschlange. Ungefähr zwei Minuten lang folgten wir ihm, passierten eine endlose, gesichtslose Schlange Verzweifelter; die meisten waren in verstohlene Gespräche vertieft, einige tauschten Waren. Die Stadt rings um uns sah verwüstet und verlassen aus, und dabei unglaublich alt. Am Horizont ragte ein hoher, halb eingestürzter Turm auf; er endete in verkohlten, zerklüfteten Trümmern, die an einen kranken Zahn erinnerten. Die ganze Stadt wirkte, als seien die Ausschreitungen vor zwanzig Jahren zu Ende gegangen, und danach habe man alles einfach so belassen, wie es war -jeden einzelnen Stein auf der Straße, jedes zerstörte Gebäude, jede obdachlose, evakuierte Familie –, und alles hatte im Laufe der Jahre immer weiter

Weitere Kostenlose Bücher