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Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche

Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche

Titel: Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Somers
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langsam hinab, bis ich mich nur noch mit den Händen am Rand des Abflussrohrs festhielt. Ich biss die Zähne zusammen und ließ mich die letzten Meter weit in den vertrauten feuchten Schlamm fallen, und sofort durchzuckten wieder Schmerzen mein gebrochenes Bein.
    Aber das Leben ergab allmählich so etwas wie Sinn: Ich war wieder in der Kanalisation.

XXXII
    Tag zehn:
    das ist ein kontrollierter Brand
     
     
    Ich machte mir keinerlei Gedanken darüber, welches Vorgehen wohl das Beste wäre – ich hustete Abwasser und mein eigenes Blut aus. Eigentlich war ich jederzeit bereit, mir eine Kugel in den Kopf zu fangen und es endlich hinter mir zu haben. Aber als mein Kopf die Wasseroberfläche durchbrach, kam es mir vor, als wäre ich neu geboren. Immer noch blut-und dreckverschmiert zwängte ich mich durch einen schmalen Schacht und erreichte schließlich den feuchten Boden eines zweiten Untergeschosses, tief unterhalb der Straße. Es war kalt, und dort lag ich nun und würgte nach Rost schmeckenden Schleim hoch, zitterte am ganzen Leib und tat mir selbst unendlich leid. Ich hätte mittlerweile ganz oben sein sollen, reich und glücklich. Stattdessen war ich hier tief unter der Oberfläche begraben, lag im Sterben und war mutterseelenallein. Die letzten fünf Jahre hatte ich auf eine lächerliche Racheaktion verschwendet, und wozu das Ganze? Ein paar Cops waren tot, dem System an sich ging es immer noch blendend, und Dick Marin war immer noch unsterblich und allgegenwärtig-
    Zu allem Überfluss sollte ich jetzt noch allein sterben, begraben unter einer ganzen Stadt. Die Karten waren zu meinen Ungunsten gezinkt, und das gefiel mir überhaupt nicht. Ich hatte die Absicht, mir einen Plan zurechtzulegen, der das alles ein wenig durcheinanderwirbeln würde.
    Nachdem ich eine oder zwei Minuten lang nur keuchend auf dem kalten Beton gelegen hatte wie ein Fisch auf dem Trockenen, spürte ich, wie sich meine Brust ein wenig beruhigte. Auch derbrennende Schmerz, der von den tiefen Schnittwunden in meinen Armen und Oberschenkeln ausging, legte sich etwas. Ich kam wieder auf die Beine und versuchte mich zu orientieren. Im Abwassersystem von Manhattan kannte ich mich aus. Von dort aus das Bellevue zu finden war nie sonderlich schwierig gewesen. Aber auf dieser Ebene hier war ich noch nie zuvor gewesen. All meine Erinnerungen halfen mir demnach keinen Schlag weiter. Das Bellevue war ein riesiger Gebäudekomplex. Es war nicht darauf ausgelegt, sich gegen einen einmal eingedrungenen Feind zu verteidigen. Daher war es nicht gerade einfach, einzelne Sektionen des Gebäudes abzusperren. Trotzdem schlich ich durch das Halbdunkel, wobei jeder Schritt in den sowieso kaputten und jetzt wieder einmal vollkommen durchweichten Stiefeln ein schmatzendes Geräusch von sich gab. Die Beine schmerzten unablässig. Ich überlegte, wie viele beziehungsweise wenige Mönche sich im Gebäude wohl aufhielten. Sicher würden sie sich darauf konzentrieren, den ganzen Umkreis zu sichern, um einen Angriff von außen abzuwehren. Das gesamte Innere des Gebäudekomplexes würde wie ein gewaltiges Höhlensystem praktisch leer stehen.
    Der Boden stieg leicht an, es wurde zunehmend heller, je weiter ich ging, bis ich schließlich am Fuß einer leise vor sich hinsummenden Rolltreppe stand. Die beleuchteten Kanten der einzelnen Stufen glitten in einem gleichmäßigen, fast hypnotisierenden Takt empor. Verdammt, dachte ich, die Mönche haben Strom. Die reichen Arschlöcher dort oben hatten ein einziges kleines Gebäude für sich gehabt, hatten auf Feldbetten geschlafen, sich von Nährstofftabletten ernährt, und als Toilette hatte ihnen ein Loch im Boden gedient. Vielleicht würden die Mönche doch noch die Erde erben.
    Als ich noch einmal an die reichen Arschlöcher zurückdachte, erschien mir das mit einem Mal nicht einmal mehr wie ein Worst-Case-Szenario.
    Ich trat auf die Rolltreppe und genoss es, lautlos durch die Dunkelheit emporgetragen zu werden. Ich zog die Waffe und ließ sie locker an meiner Hüfte baumeln. Dabei versuchte ich, so gut es ging, auf den Fußballen zu wippen. Bemerkenswerterweise fühlte ich mich ziemlich gut – abgesehen von den Schmerzen in meinen Beinen und davon, dass ich bei jedem Atemzug gequält das Gesicht verzog. Ich war ruhig und völlig entspannt. Die Dinge hatten sich so entwickelt, dass ich mich wieder in einer vertrauten Situation befand: Ich musste jemanden umbringen und würde dafür zunächst durch die Hölle gehen müssen.

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