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Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche

Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche

Titel: Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Somers
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erneut seine Warnungen verkündete, als mich von hinten eine unangenehm riechende, kräftige Brise erfasste. Die Luft dort draußen roch verfault, süßlich, nach Schimmel. Angewidert stöhnten die Gäste des Restaurants auf, ein einziger kollektiver Akt.
    Shockley schaute mich an, während das Messer lautlos auf den Teppich fiel. »Mr Gates«, sagte er und lachte leise, während ich bemerkte, dass ich mit einem Mal vier oder fünf Zentimeter über dem Boden schwebte. Unsere Blicke trafen sich. In Shockleys Augen lag boshafte Freude, wie bei einem kleinen Jungen, der voller Eifer Fliegen die Flügel ausriss. »Wir müssen leider darauf bestehen.«

IV
    Tag drei:
    ich hatte keine Zeit für so etwas;
    ich musste noch Leute töten
     
     
    Gedämpft dröhnte in meinen Ohren das Heulen der Verdrängung. Ich saß den drei Kugelköpfen gegenüber und zwang mich dazu, ihnen geradewegs in die Augen zu blicken. Ich vermutete, dass sie alle Psioniker waren: Shockley war der Telekinetiker, und mindestens einer von ihnen – ich vermutete, es war das Mädchen – war ein ›Pusher‹, genau wie mein alter Freund Kev Gatz es gewesen war. Denn vorhin, im Restaurant, hatte ich plötzlich das dringende Bedürfnis, genau das zu tun, was die von mir wollten, und ich war mit einem Eifer in einen kleinen regierungseigenen Schweber geklettert, als wäre der voll beladen mit erstklassigem Gin und Zigaretten aus der Zeit vor dem ›Großen V‹. Jetzt zwang ich mich selbst zur Ruhe, hatte die Beine übereinandergeschlagen und bewusst eine ausdruckslose Miene aufgesetzt: Ich war Avery Gates, und mit so einem Scheiß konnte man mich nicht beeindrucken. Ich hatte mit Cops gerechnet, aber es sah ganz so aus, als hätten sich die Spannungen zwischen den Unterstaatssekretären und dem SSD mittlerweile noch ein bisschen weiter verschärft. Wenn jetzt nämlich schon die ersten Psioniker-Teenager der Regierung ihren Abschluss gemacht hatten, dann bedeutete das wohl, dass es mit dem notgedrungenen Waffenstillstand zwischen der Zivilverwaltung und den System-Bullen allmählich zu Ende ging. Scheiß-Psioniker. Die System-Bullen hatten schon jahrelang Psioniker zusammengesammelt; immer wenn jemand irgendeine unheimliche Fähigkeit zeigte, waren am nächsten Tag Cops aufgetaucht, hatten irgendwelche schwachsinnigen Formulare ausgefüllt und das Kind fortgeschleppt. Und sie hinterließen Empfangsquittungen. Meistens ging es dabei um Kinder oder Teenager. Wer es schaffte, das Erwachsenenalter zu erreichen, ohne vorher von den Bullen festgenagelt zu werden – so wie Kev –, der hatte meistens gelernt, wie man diese Fähigkeiten verbarg.
    Es gefiel mir gar nicht, an Kev denken zu müssen. Das brachte immer wieder die Erinnerung daran zurück, wie er ausgestreckt dagelegen hatte, begraben im Inneren des alten Gebäudekomplexes der Cyber-Kirche.
    Shockley hatte das Ziel unserer Reise verkündet – irgendein Gebäude auf der Fifty-second Street, nicht weit vom Hauptquartier des SSD in dem düsteren Turm aus Stein und Stahl, den jeder nur ›The Rock‹ nannte. In völliger Stille stiegen wir auf. Der Schweber bestand aus erschreckend vielen Fenstern; tief unter uns konnte ich New York ausmachen. Häuserzeile um Häuserzeile zog es unter uns vorbei, andere Schweber tauchten zwischen uns und dem Erdboden auf. Wir fuhren langsam, trieben fast dahin, und ein tiefes Summen ließ meine Eingeweide vibrieren. Immer, wenn ich nach unten schaute, wurde mir schwindelig, und mir drehte sich der Magen um. Also hielt ich den Blick auf Shockleys hinterhältige, eng zusammengekniffene Augen gerichtet. Ich bildete mir ein, hören zu können, wie sie mit einem leichten Knistern immer weiter austrockneten: Wie Meteore schlugen Staubpartikel auf den Augäpfeln auf und hinterließen mikroskopisch kleine Narben.
    Aber ich war frei; ich spürte keinerlei ›Push‹ mehr, der sich irgendwie auf mich auswirkte, und es tastete auch keine unsichtbare Hand mehr nach mir. Ich widerstand dem Drang, das im Abstand weniger Sekunden wieder und wieder zu überprüfen, und zwang mich stattdessen, reglos sitzen zu bleiben. Meine Schusswaffen hatten sie mir natürlich abgenommen. Doch das Messer in meinem Stiefel war ihnen entgangen. Das waren eindeutig keine Cops. Ein System-Bulle hätte mich auf den Kopf gestellt und so lange geschüttelt, bis wirklich alles aus sämtlichen Taschen herausgepurzelt wäre.
    »In sieben Minuten erreichen wir Dr. Terries’ Position«, erklärte Shockley

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