Something like love
lieber nicht, deshalb werfe ich meistens nur verstohlene Blicke. Bestimmt weiß sie genau, was ich da mache. Schließlich ist sie eine Wahrsagerin.
Manchmal denke ich, mein Leben wäre so viel einfacher, wenn ich genau wüsste, was auf mich zukommt. Wenn das Unbekannte bekannt wäre, müsste ich nicht so viel Angst davor haben. Und ich würde endlich wissen, wie es sich anfühlt, furchtlos zu sein. Aber was, wenn die Wahrheit grauenvoll wäre? Was, wenn mir noch einmal etwas Schreckliches zustoßen würde? Ich weiß nicht, ob ich mit so einem Wissen leben könnte.
»Lass uns reingehen«, sage ich.
»Wo rein?«, fragt Erin. »Hier?«
»Ja. Warum nicht?«
»Ich hab dir doch schon aus der Hand gelesen.«
Eigentlich ist Handlesen erst nächsten Monat dran, aber Erin ist so fasziniert davon, dass sie sich mit den Grundlagen schon vertraut gemacht hat. Vor Kurzem hat sie uns beiden aus der Hand gelesen. Ich zweifle ihre Fähigkeiten nicht an und ich will sie auch nicht kränken. Aber hier ist die Gelegenheit, alles, was sie gesagt hat, von einem Profi bestätigen zu lassen. Vielleicht finden wir ja sogar noch mehr heraus. Erin hat sich das Handlesen nur aus Büchern angeeignet und besitzt keine praktische Erfahrung. Ich vermute, dass jemand, der das Handlesen schon lange beherrscht, die Dinge viel genauer sehen kann.
»Ja, schon, aber es wäre doch cool, wenn ein Profi das macht«, entgegne ich. »Diesen Monat machen wir doch Tarot. Und sie hat die Karten.«
Wir gucken durchs Schaufenster. Auf dem Tisch liegt ein Stapel Tarot-Karten und daneben stehen ein paar Kerzen. Die nicht zueinanderpassenden Stühle sind bunt gemustert. Die Wahrsagerin sitzt nicht an ihrem üblichen Platz. Vielleicht ist sie hinten und isst zu Mittag.
»Sie ist gar nicht da«, sagt Erin.
»Wir könnten ja warten, bis sie wiederkommt.«
»Aber wenn sie in fünf Minuten nicht da ist, dann gehen wir.«
»Abgemacht.«
Dann sagt Erin: »Ooh, ich hab ganz vergessen, es dir zu erzählen! Jason und ich sind füreinander bestimmt.«
»Und das soll was Neues sein?«
Ich habe noch nie erlebt, dass sich Erin wegen eines Jungen so verrückt macht. Jason ist ihr einziges Gesprächsthema. Wenn ich versuche, über etwas anderes zu reden, bringt sie das Gespräch immer wieder auf ihn zurück. In der Schule sagen alle, was für ein perfektes Paar Erin und Jason doch sind und wie gut sie zueinanderpassen und warum sie nicht überhaupt schon viel länger zusammen sind. Der Goldene Kreis ist hingerissen. Die ganze Welt ist sich einig, dass sie füreinander bestimmt sind.
»Gestern Abend hab ich was Neues ausprobiert«, erzählt Erin. Erinnerst du dich an diese Sache mit der Numerologie, bei der man die Buchstaben des eigenen Namens und die Buchstaben des Jungen, den man mag, nimmt und…«
»Ja?«
»Ich hab’s mit meinem und mit Jasons Namen probiert und es kam raus, dass wir perfekt zusammenpassen. Dann hab ich unsere Sternentabelle befragt und dabei kam raus, dass der eine das perfekte Gegenstück des anderen ist.«
»Das steht so in Sternentabellen?«
»Genau. Na ja, nicht ganz. Du weißt schon… man muss die Ergebnisse interpretieren und so, aber das war die eindeutige Botschaft.«
Plötzlich ist die Wahrsagerin da. Mit ihren flatternden Gewändern sieht sie total exotisch aus.
»Ich wette, sie hat genau gewusst, dass wir hier sind«, flüstere ich.
»Oder ihre Mittagspause ist zu Ende.«
Als die Wahrsagerin uns sieht, lächelt sie. Sie winkt uns hereinzukommen. Ich hatte sie mir einschüchternder vorgestellt. Was mit ein Grund war, warum ich ihrem Blick bisher immer ausgewichen bin. Aber sie ist kein bisschen einschüchternd. Sie macht einen freundlichen Eindruck.
»Also… sollen wir reingehen?«, frage ich.
»Na gut. Aber du bezahlst.«
»Abgemacht.«
Glöckchen erklingen, als wir die Tür öffnen. Drinnen ist alles voll von Weihrauchduft und Webteppichen und Trockenblumengestecken. Eine komplette Wand besteht aus einem Mosaik aus diamantförmig geschliffenen Spiegelchen, alle in unterschiedlichen Größen und mit verschiedenfarbigen Umrandungen.
»Ich freue mich, dass ihr gekommen seid«, sagt die Wahrsagerin, die kein bisschen unheimlich ist. »Ich bin Coral.«
»Ich bin Lani und das ist Erin.«
»Bitte.« Coral winkt uns an den kleinen Tisch. Wie seltsam, plötzlich auf der anderen Seite des Schaufensters zu sein. Wir setzen uns auf zwei Stühle ihr gegenüber. »Möchtet ihr, dass ich euch beiden wahrsage?«
»Ja«, antworte
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