Something like love
Schwimmstunden gegeben, ohne dass ich tatsächlich schwimmen gewesen wäre. Ich musste nicht mal richtig ins Wasser. Einmal sind wir in der Nähe vom Ufer mit den Füßen ins Wasser gegangen und haben nach seltenen Muscheln gesucht. Nach einer Weile fühlte ich mich sicher genug, bis zu den Knien hineinzugehen. So schlimm war das gar nicht. Vorige Woche sind wir mit dem Zug zu einem Freibad im Nachbarort gefahren. Jason hat mich festgehalten, während ich auf dem Wasser dahintrieb. Das hatte ich im Schwimmunterricht auch schon mal gemacht, aber mittlerweile habe ich das Gefühl, dass ich dem Wasser ein bisschen mehr vertraue. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, ihm jemals total zu vertrauen.
Aber wegen heute Abend bin ich total aufgeregt. Wir wollen im Dunklen schwimmen gehen.
Der Green Pond gehört uns ganz allein. Falls wir erwischt werden, kann Jason sich als Rettungsschwimmer hoffentlich gut rausreden. Es ist erst neun Uhr abends, deshalb werden wir schon nicht in allzu große Schwierigkeiten kommen, falls uns jemand sieht.
Wir stehen am Ufer und schauen auf die riesige dunkle Fläche, die sich vor uns ausbreitet.
Jason hält meine Hand.
»Lass mich nicht los«, sagt er.
»Ich lass dich nie mehr los.« Ich habe solche Angst, dass ich seine Hand fast zerquetsche, so fest halte ich sie in meiner. Ich kann nichts dafür. Das hier ist das erste Mal seit dem Unfall, dass ich in richtiges Wasser gehe, also nicht in einem Schwimmbad. Richtiges Wasser ist viel unheimlicher als Schwimmbadwasser. Hier draußen kann alles passieren.
Es ist eine klare Nacht mit Millionen von Sternen am Himmel. Ich erkenne den Großen Wagen und fühle mich in Sicherheit.
Wir machen einen Schritt.
Und noch einen.
Es geht mir bis zu den Knöcheln.
Dann zu den Knien.
Dann zu den Oberschenkeln.
Als mir das Wasser bis zur Taille geht, muss ich erst mal lange stehen bleiben.
»Weiter kann ich nicht gehen«, beschließe ich.
»Bist du sicher?«
»Ich bin sehr sicher.«
»Na, dann lass uns ein Weilchen hier stehen bleiben und sehen, was passiert.«
Wir unterhalten uns über alles Mögliche. Über Spaziergänge auf Zuggleisen und Schicksal und Horoskope und unsere Ferienjobs und die Schule und Ideen für neue Geheimcodes. Als ich wieder zu den Sternen hochschaue, haben sie ihre Position total geändert.
»Glaubst du, du kannst noch ein kleines bisschen weiter gehen?«, fragt Jason. »Du bist vollkommen in Sicherheit.«
»Ich versuch’s.«
Ich umklammere seine Hand. Wir gehen weiter hinein. Bald bin ich bis zu den Schultern im Wasser.
»Du machst das großartig«, sagt er. »Ich pass auf, dass dir nichts passiert.«
Jason steht vor mir und hält meine Hände fest. »Wäre es okay, wenn ich dich ein paar Sekunden lang durchs Wasser ziehe? Du musst nur deine Füße vom Boden lösen.«
»Wie viele Sekunden?«
»Drei?«
Soll ich das wirklich tun? Solange ich festen Boden unter meinen Füßen spüre, kann ich nicht ertrinken. Aber sobald ich den Boden verlasse…
Dann fällt mir mein Ziel wieder ein. Nächsten Sommer auf Hawaii will ich schwimmen können. Ich will wissen, wie es sich anfühlt, frei zu sein.
»Okay«, sage ich.
Jason schaut mich überrascht an. »Echt?«
»Los, ehe ich es mir anders überlege.«
Es funktioniert. Jason zieht mich hinter sich her, ich gleite durchs Wasser und halte die Füße hoch. Das machen wir wieder und wieder, bis ich nicht mehr so viel Angst habe.
Ich habe immer gehofft, dass es irgendwann mal so kommen würde. Dass ich stark genug sein würde, um endlich meine Angst zu überwinden. Dass alles wieder gut sein wird. Dass mein Leben so sein wird, wie ich es mir immer gewünscht habe.
Dritter Teil
September – Oktober
»Das Schicksal ist wie ein fremdartiges,
unpopuläres Restaurant voller seltsamer
Kellner, die dir Sachen servieren, die du
überhaupt nicht bestellt hast und nicht
immer magst.«
Lemony Snicket
»Das, was wir erwarten, ist nur
der Anfang. Es ist das Unerwartete,
das unser Leben ändert.«
Meredith Grey
30
Manchmal müssen die Dinge erst schlimmer werden, bevor sie wieder besser werden. Ich habe mir allerdings nie vorstellen können, dass sie so schlimm sein würden.
31
Hätte mir vor drei Monaten jemand erzählt, dass Erin Jason einmal als Versager bezeichnen würde, ich hätte es nicht geglaubt. Aber so ist es. Sie sitzt auf unserer Veranda. Und lässt sich darüber aus, was für ein Versager Jason ist.
»Wie kann man mit jemandem Schluss machen, der gerade
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