Sommer am Meer
bunt in den Blumenkästen an den Fenstern, die Schaufenster waren voll mit Kleidung „für die Reise“, der erste Schwung Berufstätige wurde in die U-Bahn-Station Knightsbridge gesogen, ein steter Menschenstrom.
Das Taxi bog in das Geflecht aus stillen Plätzen hinter der Kensington High Street, schob sich durch enge, mit geparkten Autos gesäumte Straßen und bog schließlich um die Ecke nach Melton Gardens.
„Es ist das Haus bei dem Briefkasten.“
Das Taxi hielt. Virginia stieg aus, stellte ihren Koffer auf den Bürgersteig, nahm das Fahrgeld aus ihrer Handtasche. Der Fahrer sagte: „Vielen Dank“ und schaltete sein Schild auf „Frei“. Virginia nahm ihren Koffer, und just als sie sich dem Haus zuwandte, ging die schwarzgestrichene Tür auf, und ihre Schwiegermutter stand bereit, um sie hereinzulassen.
Lady Keile war eine große, schlanke, ungemein gut aussehende Dame. Sogar an diesem stickigen Tag wirkte sie kühl und makellos, ihr Leinenkleid war vollkommen unzerknittert, kein einziges Haar war verrutscht.
Virginia ging die Stufen zu ihr hinauf.
„Wie geschickt du meine Ankunft abgepaßt hast.“
„Ich stand am Wohnzimmerfenster und habe das Taxi gesehen.“
Ihre Miene war freundlich, lächelnd, aber unerbittlich; sie sah aus wie die Vorsteherin einer Irrenanstalt, die eine neue Patientin aufnimmt. Sie begrüßten sich, indem sie die Wangen aneinanderlegten.
„Hattest du eine schlimme Reise?“ Sie schloß die Haustür. In der kühlen, in blassen Farben gehaltenen Diele roch es nach Bienenwachs und Rosen. Am hinteren Ende führten Stufen zu einer Glastür, und dahinter war der Garten zu sehen, die Kastanie, die Kinderschaukel.
„Ja, schauderhaft. Ich fühle mich so schmutzig; ein ungezogenes Kind hat mich von oben bis unten mit Orangensaft begossen.“ Es war still im Haus. „Wo sind die Kinder?“
Lady Keile ging voran die Treppe hinauf ins Wohnzimmer. „Sie sind mit Nanny draußen. Ich dachte, es ist vielleicht besser so. Sie bleiben nicht lange, höchstens eine halbe Stunde. Das läßt uns Zeit, alles durchzusprechen.“
Virginia stapfte hinter ihr drein und sagte nichts. Oben angekommen, überquerte Lady Keile den schmalen Flur und trat ins Wohnzimmer. Virginia folgte ihr, und trotz ihrer inneren Unruhe war sie wie immer überwältigt von der zeitlosen Schönheit des Raumes, den herrlichen Proportionen der hohen Fenster, die zur Straße hinausgingen; sie waren heute offen, die zarten Gardinen bewegten sich leicht. Hohe Spiegel reflektierten das Licht und auf Hochglanz polierte antike Möbel, große Vitrinen mit blau-weißen Meißener Tellern und die Blumen, mit denen Lady Keile sich stets umgab.
Sie sahen sich über den hellen Teppichboden hinweg an. Lady Keile sagte: „Machen wir es uns doch gemütlich“, und ließ sich, gerade wie ein Ladestock, auf einem ausladenden französischen Sessel nieder.
Virginia setzte sich ganz vorne auf die Sofakante und bemühte sich, sich nicht wie eine Hausangestellte bei einem Einstellungsgespräch vorzukommen. Sie sagte: „Es gibt eigentlich nichts zu besprechen.“
„Ich dachte, ich müßte dich gestern abend am Telefon mißverstanden haben.“
„Nein, du hast mich nicht mißverstanden. Ich habe vor zwei Tagen beschlossen, die Kinder zu mir zu holen. Ich fand es lächerlich, daß ich in Cornwall bin, und sie sind in London, zumal in den Sommerferien. Darauf bin ich zu einem Anwalt gegangen und habe das Häuschen gefunden. Ich habe die Miete bezahlt, und ich habe die Schlüssel. Ich kann sofort einziehen.“
„Weiß Alice Lingard davon?“
„Natürlich. Sie hat angeboten, die Kinder in Haus Wheal aufzunehmen, aber da hatte ich den Vertrag schon abgeschlossen und konnte nicht mehr zurück.“
„Aber Virginia, es kann doch nicht wirklich dein Ernst sein, daß du sie ohne Nanny mitnehmen willst?“
„Doch.“
„Aber das schaffst du nie.“
„Ich muß es versuchen.“
„Das heißt, du willst die Kinder für dich allein.“
„Ja.“
„Findest du nicht, daß das ein bißchen... egoistisch von dir ist?“
„Egoistisch?“
„Ja, egoistisch. Du denkst gar nicht an die Kinder, nicht wahr? Nur an dich.“
„Vielleicht denke ich an mich, aber an die Kinder denke ich auch.“
„Das kann nicht sein, wenn du beabsichtigst, sie von Nanny zu trennen.“
„Hast du mit ihr gesprochen?“
„Das mußte ich natürlich. Sie mußte schließlich erfahren, was du vorhast, sofern ich dich richtig verstanden habe. Aber ich hatte
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