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Sommer am Meer

Sommer am Meer

Titel: Sommer am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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sie zu einem Knoten geschlungen trug. Sie schien alterslos, der Typ, der unverändert blieb, bis sie als alte Frau plötzlich senil werden und sterben würde.
    Sie blickte auf, als Virginia ins Zimmer trat, und sah dann hastig wieder weg.
    „Hallo, Nanny.“
    „Guten Abend.“
    Sie verhielt sich ausgesprochen eisig. Virginia schloß die Tür und setzte sich auf die Armlehne des Sofas. Es gab nur eine Möglichkeit, mit Nanny fertig zu werden, wenn sie schlecht gelaunt war, nämlich gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. „Es tut mir leid, Nanny.“
    „Ich weiß nicht, was Sie meinen, das ist mal sicher.“
    „Ich meine, daß ich die Kinder abhole. Wir fahren morgen früh nach Cornwall. Ich habe Plätze im Zug reserviert.“ Nanny legte die karierte Tischdecke zusammen, Ecke auf Ecke zu einem akkuraten Quadrat. „Lady Keile sagt, sie hat mit Ihnen gesprochen.“
    „Sie hat was von einem idiotischen Plan erwähnt... aber ich konnte kaum glauben, daß mein Gehör mir keinen Streich gespielt hat.“
    „Sind Sie beleidigt, weil ich die Kinder mitnehme, oder weil Sie nicht auch mitkommen?“
    „Wer ist beleidigt? Niemand ist beleidigt, das ist mal sicher...“
    „Dann finden Sie es eine gute Idee?“
    „Nein, finde ich nicht. Aber auf meine Meinung scheint man ja keinen Wert mehr zu legen.“
    Sie legte die Decke in die Tischschublade und schob die Schublade mit einem kleinen Knall zu, der ihren kaum verhaltenen Zorn verriet. Doch ihre Miene blieb kühl, ihr Mund gestrafft.
    „Sie wissen sehr wohl, daß wir Wert auf Ihre Meinung legen. Sie haben so viel für die Kinder getan. Sie dürfen nicht denken, daß ich undankbar bin. Aber sie sind keine Babies mehr.“
    „Und was soll das heißen, wenn ich fragen darf?“
    „Bloß, daß ich mich jetzt um sie kümmern kann.“
    Nanny wandte sich vom Tisch ab. Zum erstenmal trafen sich ihre Blicke, und als sie sich gegenseitig musterten, sah Virginia, wie die Zornesröte sich langsam auf Nannys Hals, über ihr Gesicht bis hinauf zum Haaransatz ausbreitete.
    Sie sagte: „Wollen Sie mir kündigen?“
    „Nein, das hatte ich eigentlich nicht vor. Aber da wir schon darüber reden, wäre es vielleicht das Beste. Für Sie selbst und für alle anderen. Ja, vielleicht wäre es besser für Sie.“
    „Und wieso wäre es besser für mich? Mein ganzes Leben habe ich dieser Familie gewidmet, ich habe mich von Anfang an um Anthony gekümmert, und es gab keinen Grund, weshalb ich nach Schottland kommen und für Ihre Babies sorgen sollte, ich wollte da nie hin, ich wollte nicht weg aus London, aber Lady Keile hat mich gebeten, und weil es ihre Familie war, bin ich gegangen, es war ein wirkliches Opfer für mich, und dies ist nun der Dank dafür...“
    „Nanny...“ Virginia unterbrach sie sachte, als Nanny innehielt, um Atem zu schöpfen, „... eben deswegen wäre es besser für Sie. Aus genau diesem Grund. Wäre es nicht besser, einen klaren Strich zu ziehen und sich vielleicht eines neuen Babys anzunehmen, einer neuen kleinen Familie? Sie haben selbst immer gesagt, ein Kinderzimmer ohne kleines Baby ist kein richtiges Kinderzimmer, und Nicholas ist jetzt sechs.“
    „Ich hätte nie gedacht, daß ich diesen Tag erleben müßte.“
    „Und wenn Sie das nicht wollen, warum sprechen Sie dann nicht mit Lady Keile? Sie könnten eine Vereinbarung mit ihr treffen. Sie verstehen sich so gut, und Sie sind gerne in London bei Ihren vielen Freundinnen...“
    „Ich brauche Ihre Vorschläge nicht, vielen Dank. Die besten Jahre meines Lebens habe ich geopfert, um Ihre Kinder großzuziehen, ich habe keinen Dank erwartet... es wäre nie soweit gekommen, wenn der arme Anthony... wenn Anthony noch lebte...“
    So ging es ewig weiter, und Virginia hörte zu, ließ die Schmähungen über sich ergehen. Sie sagte sich, dies sei das Mindeste, was sie tun könne. Es war vorbei, es war geschafft, sie war frei. Nur darauf kam es an. Höflich zu warten, bis Nanny fertig war, war nichts weiter als eine Respektsbezeugung, ein Tribut des Siegers an den Besiegten nach einer blutrünstigen, jedoch ehrenhaften Schlacht.
    Danach ging sie den Kindern gute Nacht sagen. Nicholas schlief schon, aber Cara war noch in ihr Buch vertieft. Als ihre Mutter ins Zimmer kam, lösten ihre Augen sich langsam von der Buchseite, und sie sah auf. Virginia setzte sich auf die Bettkante.
    „Was liest du da?“
    Cara zeigte es ihr. „Die Schatzsucher.“
    „Oh, das kenne ich. Wo hast du es gefunden?“
    „Im Bücherregal im

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