Sommer am Meer
daß die Kinder herkommen und den Rest der Ferien mit mir verbringen. Ich komme morgen mit dem Zug, um sie abzuholen.“
„Aber was ist das für ein Cottage?“
„Ein Cottage eben. Ein Ferienhaus...“
„Schön, wenn du es so willst...“ Virginia setzte zu einem Seufzer der Erleichterung an. „... Aber wie schade für Nanny. Sie hat nicht oft Gelegenheit, nach London zu kommen und ihre Freundinnen zu sehen.“ Die Erleichterung erstarb jäh. Virginia ging wieder zum Angriff über.
„Nanny braucht nicht mitzukommen.“
Lady Keile war perplex. „Entschuldige, die Verbindung ist so schlecht, ich dachte, du hast gesagt, Nanny braucht nicht mitzukommen.“
„Richtig. Ich kann mich selbst um die Kinder kümmern. Für Nanny ist sowieso kein Platz. Ich meine, es ist kein Zimmer für sie da, auch kein Spielzimmer... und es ist schrecklich einsam, sie würde sich da nicht wohl fühlen.“
„Du meinst, du willst Nanny die Kinder wegnehmen?“
„Ja.“
„Aber das wird ihr großen Kummer machen.“
„Ja, leider, aber...“
„Virginia...“ Lady Keiles Stimme war aufgebracht, betrübt, „Virginia, das können wir nicht am Telefon besprechen.“
Virginia stellte sich Nanny vor, wie sie auf dem Treppenabsatz dem Telefongespräch lauschte.
„Müssen wir ja nicht. Ich komme morgen nach London.
Ich bin gegen fünf bei euch. Dann können wir es besprechen.“
„Ich denke“, sagte Lady Keile, „das wäre das Beste.“ Und sie hängte ein.
Am nächsten Morgen fuhr Virginia nach Penzance, ließ ihren Wagen auf dem Bahnhofsparkplatz stehen und stieg in den Zug nach London. Es war wieder ein heißer, wolkenloser Morgen; sie hatte keine Zeit gehabt, einen Platz zu reservieren, und obwohl sie einen Gepäckträger erwischte und ihm ein großzügiges Trinkgeld gab, konnte er ihr nur eine freie Ecke in einem Abteil besorgen, das schon unerträglich voll war. Ihre Mitreisenden hatten ihren Jahresurlaub hinter sich und fuhren nach Hause, mißmutig und untröstlich bei dem Gedanken, an die Arbeit zurückzukehren, und unwillig, Meer und Strände an einem so herrlichen Tag zu verlassen.
Eine Familie war darunter, Vater, Mutter und zwei Kinder. Das Baby schlief friedlich in den Armen der Mutter, aber als die Sonne am windstillen Himmel höher stieg und der Zug durch die flirrende Hitze nordwärts ratterte, wurde das andere Kind, ein Junge, immer mürrischer; er wimmerte und quengelte, gab keine Ruhe und trat Virginia mit seinen schmutzigen Sandalen jedesmal auf die Füße, wenn er aus dem Fenster sehen wollte. Um das Kind zu beruhigen, kaufte der Vater ihm schließlich eine Orangeade, doch kaum war die Flasche geöffnet, machte der Zug einen Ruck, und der ganze Inhalt ergoß sich auf Virginias Kleid.
Das Kind wurde prompt von seiner verzweifelten Mutter, geohrfeigt und fing an zu brüllen. Das Baby wachte auf und stimmte heulend in das Gebrüll seines Bruders ein. Der Vater sagte: „Schau, was du getan hast“, und schüttelte das Kind gehörig, und Virginia, die versuchte, sich mit Papiertüchern zu säubern, beschwichtigte, es sei nicht schlimm, es sei nicht zu ändern, es sei überhaupt nicht schlimm.
Das Geschrei des Kindes ging nach und nach in Schluckauf und Schluchzen über. Eine Flasche wurde hervorgekramt und dem Baby in den Mund gestopft. Es saugte ein bißchen, hielt inne, rappelte sich zum Sitzen hoch und übergab sich.
Virginia zündete sich eine Zigarette an, sah starr aus dem Fenster und betete: „Mach, daß Cara und Nicholas nie so sind. Mach, daß sie nie auf einer Eisenbahnfahrt so sind, sonst drehe ich total durch.“
In London war es schwül und stickig, der höhlenartige Paddington-Bahnhof war erfüllt von gräßlichem Lärm und ziellos hastenden Menschenmassen. Als Virginia aus dem Zug gestiegen war, ging sie, ihren Koffer in der Hand, in ihrem zerknitterten, fleckigen, klebrigen Kleid den Bahnsteig entlang zum Fahrkartenschalter, und wie ein Geheimagent, der sich seinen Fluchtweg sichert, kaufte sie Fahrkarten und reservierte für den nächsten Morgen drei Plätze im „Riviera“. Erst dann ging sie zum Taxistand, wartete in der langen Schlange und ergatterte schließlich ein Taxi.
„Melton Gardens zweiunddreißig, bitte. Kensington.“
„In Ordnung. Steigen Sie ein.“
Sie fuhren in Sussex Gardens durch den Park. Auf dem braunen Rasen tummelten sich picknickende Familien, spärlich bekleidete Kinder, unterm Schatten der Bäume verschlungene Pärchen. In der Brompton Road blühte es
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