Sommer am Meer
es sei vielleicht angebracht, den Pullover auszuziehen.
„Was spielst du?“
„Ach, bloß so.“
„Ist das Gras Stroh?“
„Kann sein.“
Virginia hängte die letzte Hose auf. „Wo ist Cara?“
„Drinnen.“
„Sie wird vermutlich lesen“, sagte Virginia und ging hinein, sie zu suchen. Aber Cara las nicht; sie saß im Turmzimmer am Fenster und blickte starr über die Felder auf das Meer. Als Virginia in der Tür erschien, wandte sie langsam den Kopf, gedankenverloren, ohne etwas zu erkennen.
„Cara...?“
Die Augen hinter der Brille wurden lebendig. Sie lächelte. „Hallo. Gehen wir jetzt?“
„Ich bin soweit, wenn du soweit bist.“ Sie setzte sich neben Cara. „Was machst du? Nachdenken oder die Aussicht betrachten?“
„Beides.“
„Woran hast du gedacht?“
„Ich hab überlegt, wie lange wir wohl hierbleiben...“
„Oh - ungefähr einen Monat, denke ich. Ich hab's für einen Monat gemietet.“
„Aber wir müssen zurück nach Schottland, nicht? Wir müssen wieder nach Kirkton.“
„Ja, wir müssen wieder zurück. Allein schon, weil dort deine Schule ist.“ Sie wartete. „Willst du nicht?“
„Kommt Nanny nicht mit?“
„Ich glaube kaum.“
„Das wird komisch, nicht, Kirkton ohne Daddy oder Nanny? Es ist so groß, bloß für uns drei. Ich glaube, darum gefällt mir dieses Haus. Es hat genau die richtige Größe.“
„Ich dachte, du würdest es vielleicht nicht mögen.“
„Ich finde es wunderschön. Und erst dieses Zimmer. So eins habe ich noch nie gesehen, die Treppe nach unten mittendrin, und so viele Fenster, daß man den ganzen Himmel sieht.“ Sie wurde offensichtlich nicht von dem Eindruck geplagt, daß es hier spukte. „Aber warum sind hier gar keine Möbel drin?“
„Ich glaube, es wurde als Arbeitszimmer gebaut. Vor fünfzig Jahren hat hier ein Mann gewohnt, der Bücher geschrieben hat und sehr berühmt war.“
„Wie hat er ausgesehen?“
„Das weiß ich nicht. Ich vermute, er hatte einen Bart, und vielleicht war er sehr unordentlich und hat vergessen, seine Sockenhalter hochzuziehen und hat seinen Anzug falsch geknöpft. Schriftsteller sind oft sehr zerstreut.“
„Wie hat er geheißen?“
„Aubrey Crane.“
„Der war bestimmt nett“, sagte Cara, „wenn er sich so ein schönes Zimmer ausgesucht hat. Man kann einfach hier sitzen und alles sehen, was passiert.“
„Ja“, sagte Virginia, und sie sahen zusammen auf die Patchwork-Felder, wo Kühe friedlich grasten; das Gras war nach dem Regen smaragdgrün, Mauern und schiefe Torpfosten waren von Brombeersträuchern überwuchert, die in ein, zwei Monaten schwer von süßen, schwarzen Früchten sein würden. Im Westen brummte ein Traktor. Virginia drückte den Kopf an die Fensterscheibe und sah den roten Fleck, knallig wie ein Briefkasten, und den Mann hinter dem Steuer mit einem Hemd, das so blau war wie der Himmel.
„Wer ist das?“ fragte Cara.
„Eustace Philips.“
„Kennst du ihn?“
„Ja. Er bewirtschaftet Penfolda.“
„Gehören ihm die ganzen Felder?“
„Ich nehme es an.“
„Wann hast du ihn kennengelernt?“
„Vor langer Zeit.“
„Weiß er, daß du hier bist?“
„Ja, ich glaube schon.“
„Dann kommt er bestimmt mal vorbei, was trinken oder so.“
Virginia lächelte. „Ja, vielleicht. Jetzt komm, kämm dir die Haare und mach dich fertig. Wir gehen Tante Alice besuchen.“
„Soll ich meine Badesachen mitnehmen? Können wir in ihrem Schwimmbad schwimmen?“
„Gute Idee.“
„Ich wünschte, wir hätten ein Schwimmbad.“
„Was, hier? Im Garten wäre kein Platz dafür.“
„Nein, nicht hier. In Kirkton.“
„Das ließe sich ohne weiteres machen“, sagte Virginia spontan. „Wenn du wirklich eines willst. Aber laß uns jetzt gehen, sonst haben wir bis zum Mittagessen nichts getan als hier gesessen und geredet.“
Aber als sie nach Haus Wheal kamen, trafen sie nur Mrs. Jilkes an. Virginia hatte geläutet, aber nur der Form halber, dann hatte sie sofort die Tür geöffnet und war, gefolgt von den Kindern, in die Diele getreten. Sie wartete, daß die Hunde bellten und Alice' Stimme „Wer ist da“ sagte und Alice in der Wohnzimmertür erschien. Aber alles blieb still, und nur das langsame Ticken der Standuhr neben dem Kamin war zu hören.
„Alice?“
Irgendwo ging eine Tür auf und zu, und Mrs. Jilkes kam über den Küchenflur, wie ein Schiff unter vollen Segeln in ihrer gestärkten weißen Schürze. „Wer ist da?“ Sie hörte sich ausgesprochen
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