Sommer am Meer
will?“
Virginia sah auf ihre Uhr. Es war kurz vor eins. „Essen?“ riet sie.
Ich würde am liebsten nach Haus Wheal fahren, wo Mrs. Jilkes das Mittagessen fertig hat und im Wohnzimmer ein fröhliches Feuer flackert und jede Menge Illustrierte und Zeitungen liegen und es den ganzen Nachmittag nichts zu tun gibt.
„Ja, das auch. Aber noch was anderes.“
„Keine Ahnung.“
„Du mußt raten. Du darfst dreimal raten.“
„Hm.“ Sie überlegte. „Willst du aufs Klo?“
„Nein. Jetzt noch nicht.“
„Willst du einen Schluck Wasser trinken?“
„Nein.“
„Ich geb's auf.“
„Ich will heute nachmittag an den Strand und graben. Mit meinem neuen Eimer und meiner Schaufel.“
Der junge Mann in der Bank behielt recht mit seiner Wetterprognose. Gegen Abend drehte der Wind, und die Wolken wurden über die Heide fortgetrieben. Zuerst erschienen kleine Flecken am Himmel, dann wurden sie größer und heller, und schließlich brach die Abendsonne durch und ging triumphierend in prächtigen Rosa- und Rottönen unter.
„Ist der Himmel abends rot, hat der Schäfer keine Not“, sagte Cara, als sie zu Bett gingen. „Das bedeutet, morgen ist schönes Wetter.“
Und es stimmte.
„Ich will an den Strand und mit meinem Eimer und meiner Schaufel graben“, sagte Nicholas.
„Wir gehen ja an den Strand“, sagte Virginia bestimmt, „aber zuerst müssen wir zu Tante Alice, sonst denkt sie, wir sind die unhöflichsten und undankbarsten Leute, die sie je gekannt hat.“
„Warum?“ fragte Nicholas.
„Weil sie das Haus für uns hergerichtet hat, und wir haben noch nicht mal danke schön gesagt... iß dein Ei auf, Nicholas, es wird sonst kalt.“
„Ich will Cornflakes.“
„Müssen wir erst kaufen“, sagte Virginia, und Cara holte Bleistift und Einkaufsliste, und sie schrieben Cornflakes unter Topfkratzer, Erdnußbutter, Zucker, Trockenerbsen, Marmelade, Waschpulver und Käse. Virginia hatte noch nie im Leben so viel eingekauft.
Sie schickte sie spielen, während sie das Frühstücksgeschirr spülte und nach oben ging, um die Betten zu machen.. Das Kinderzimmer war mit Kleidungsstücken übersät. Virginia hatte sich immer eingebildet, ihre Kinder seien ordentlich, doch jetzt wurde ihr klar, daß es Nanny gewesen war, die stets hinter ihnen herging und alles aufhob und wegräumte, was sie fallen ließen. Sie sammelte die Sachen auf, wußte nicht, ob sie getragen oder frisch waren, nahm eine Socke von der Kommode und vermied es sorgfältig, eine zerknüllte Papiertüte mit zwei klebrigen Bonbons anzurühren, die in der Ecke lag.
Sie stieß auf einen großen, schweinsledernen Fotorahmen. Er gehörte Cara, und Nanny hatte ihn eingepackt; in welcher Absicht, konnte Virginia nur vermuten. Eine Seite nahm eine Reihe kleiner Fotos ein, viele von Cara selbst aufgenommen, mit mehr Liebe als Kunstfertigkeit angeordnet. Die Hausfront, ziemlich verwackelt; die Hunde, die Landarbeiter auf dem Traktor; eine Luftansicht von Kirkton und ein, zwei Ansichtskarten. Auf der anderen Seite ein eindrucksvolles Porträt von Anthony, im Atelier aufgenommen und scharf ausgeleuchtet, Anthony im Halbprofil, so daß seine Haare weißblond aussahen und sein Kinn kantig und entschlossen wirkte. Der Fotograf hatte den Eindruck eines starken Mannes gehabt, aber Virginia kannte die zusammengekniffenen Augen und den schwachen, hübschen Mund. Und sie sah den gestreiften Kragen des Turnbull and Asher-Hemdes, die diskret gemusterte italienische Seidenkrawatte, und sie dachte daran, welch großen Wert Anthony auf Kleidung gelegt hatte, die ihm genauso wichtig war wie sein Auto, die Einrichtung seines Hauses und sein Lebensstil. Virginia hatte all diese Dinge immer für nebensächlich gehalten und geglaubt, daß sie vom Charakter des einzelnen geprägt würden. Aber bei Anthony Keile war es umgekehrt gewesen. Er hatte den kleinsten Details stets höchste Wichtigkeit eingeräumt, als hätte er erkannt, daß sie die Säulen seines Images waren, ohne die seine unzulängliche Persönlichkeit sich in nichts auflösen würde.
Die Kinderkleider auf dem Arm ging sie nach unten und wusch sie in dem kleinen Waschbecken. Als sie hinausging, um sie auf der zusammengeknoteten Wäscheleine aufzuhängen, traf sie nur Nicholas an, der allein mit seinem roten Traktor, ein paar Kieselsteinen und Grasbüscheln spielte. Er hatte seinen neuen marineblauen Rollkragenpullover an und war bereits vor Hitze puterrot im Gesicht, aber Virginia hütete sich anzudeuten,
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