Sommer der Entscheidung
hast du besser ausgesehen.“
„Du siehst auch wunderbar aus. Hübsch. Sogar noch hübscher, als ich dich in Erinnerung hatte.“
Es war eine kühle Nacht, und der Wind zerrte an Helens Frisur, aber sie wollte noch nicht ins Haus gehen. Siewollte ihn für sich allein haben. „Ich habe es nicht geglaubt, als Daddy sagte, du würdest schließlich doch kommen.“
„Ich musste ihnen ein wenig um den Bart gehen, aber dann haben sie mich doch gehen lassen, wegen deiner Ma.“
„Sie ist munterer als in den letzten Wochen. Die Hochzeit bedeutet ihr so viel.“
„Und du? Was bedeutet sie dir?“, fragte er grinsend. „Für mich bedeutet sie alles.“
„Für mich auch.“
Plötzlich wurde Helen wieder schüchtern. Sie wusste, dass sie nicht hübsch war, auch wenn Fate es sagte. Aber dieser Mann liebte sie. Er war trotz aller Umstände den ganzen Weg hergekommen, um sie zu heiraten. Morgen wären sie Mann und Frau. Morgen Nacht …
„Ich habe die ganze Zeit an dich gedacht, als ich fort war“, sagte er. Er sprach langsam, als habe er auf dem Weg geübt, sich auszusprechen, so, wie er sich Mühe mit seinen Briefen gegeben hatte. „Ich weiß, wie viel Glück ich mit dir habe, Helen. Und ich verspreche dir, dass ich alles tun werde, damit wir ein gutes Leben haben. Ich weiß zwar nicht, wohin es uns schließlich verschlagen wird, aber egal wo, wir werden zusammen sein. Es tut mir leid, dass ich dich deiner Familie wegnehme, aber wir kommen zurück und besuchen sie, sooft es geht.“
Helen dachte an ihre Familie und an die Farm, an der sie mit ihrem ganzen Herzen hing. Dann dachte sie an die weite Welt, die es außerhalb der Fitch Crossing Road gab, und die vielen Dinge, die sie sehen und hören würde und von denen sie nie zu träumen gewagt hatte. Fate Henry gab ihr mehr als nur sich selbst. Er gab ihr ein neues Leben und neue Möglichkeiten. Und wenn es so weit war, würde sie sie mit vollen Händen ausschöpfen.
„Ich will bei dir sein, wo auch immer du bist.“ Sie drückteseine Hände. Er zog sie nah an sich heran und küsste sie innig. Das Gewicht, das seit so vielen Monaten auf ihren Schultern gelegen hatte, flog davon. Ihr bisheriges Leben war zu Ende, das war wahr. Aber ein neues Leben lag vor ihr. Das war alles, was Delilah sich für ihre Tochter gewünscht hatte. Das war es, was ein guter Ehemann für Helen bedeutete.
Dieses E-Book wurde von "Lehmanns Media GmbH" generiert. ©2012
16. KAPITEL
A m nächsten Tag waren alle sehr beschäftigt. Stellt euch vor, was alles an einem einzigen Tag erledigt werden musste. Es stellte sich heraus, dass meine Tante Mavis mir schon ein Kleid genäht hatte. Wahrscheinlich glaubt ihr, dass es nichts Besonderes gewesen sein konnte, aber für mich war es das schönste Kleid, das ich jemals gesehen hatte. Es war hellbeige mit winzigen Veilchen darauf. Der Stoff war Rayon und stammte aus einem Geschäft in Washington, D.C.! Meine Tante Sally hatte mir außerdem ein echtes Paar Feinstrumpfhosen gekauft. Sie kosteten einen Dollar und fünfundzwanzig Cents, und das war damals eine ganze Menge Geld. Daran kann ich mich noch erinnern. Mein erstes Paar Feinstrumpfhosen, und auch das letzte, bis der Krieg zu Ende war.“
Helen bedeutete Tessa, dass sie ihr den Quilt geben sollte. Sie drehte ihn so lange, bis sie fand, was sie gesucht hatte. Sogar damals hatte sie schon gewusst, dass der Stoff ihres Hochzeitskleides der Waschmaschine nicht standhalten konnte. Aber nachdem Fate nach Kalifornien gegangen war, um auf der Oklahoma an Bord zu gehen, hatte sie ein Stück Stoff, das noch übrig geblieben war, in diesem Quilt verarbeitet.
„Hier, schaut mal, hier ist es“, sagte sie. „Oder was davon übrig geblieben ist. Man kann leider nicht mehr viel erkennen.“ Tessa sah nichts als einzelne Fäden, die mit Nancys Stichen auf dem Vlies festgenäht waren.
Nancy hatte der Erzählung ihrer Mutter gebannt zugehört. Sie war sechzig Jahre alt, also über das Alter hinaus, in dem man von einer romantischen Geschichte gefesselt ist. Aber für sie war das eine ungewöhnliche Geschichte. Es war Helen peinlich, dass sie diesen Teil ihrer Vergangenheit solange verschwiegen hatte.
„Ihr habt hier geheiratet?“, fragte Nancy.
„Ja, genau hier, im Salon. Mama bat Tom, ihren Quilt-Rahmen runter in den Obstkeller zu bringen. Dann haben wir so viele Stühle aufgestellt wie hereinpassten. Der Pastor stand vor den Fenstern, Fate und ich wiederum vor ihm. Fate trug seine Uniform. Es
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