Sommer der Nacht
schlechter Presse zu sein als tatsächlich Schuldige in allen Legenden, die er gekannt hatte. Kein vergifteter Ring, der Liebhaber und Essensgäste auslöschte, keine Bankette, wo beim Dessert Leichen wie Palisadenpfähle aneinandergereiht waren. Nein, Lucrezia entpuppte sich als Opfer gemeiner Historiker. Duane betrachtete einige Bände auf seinem Lesetisch: Giucciardinis Geschichte Italiens, Machi-avellis Der Fürst und seine Diskurse und Auszüge aus Die Geschichte von Florenz und die Staatsangelegenheiten Italiens, Pic-colomini/Pius' geschwätzige Kommentare, Gregorovius' Buch über Lucrezia, Burchards Liber Notarum mit seinen Fußnoten zu alltäglichen Trivia am päpstlichen Hof zu seiner Zeit.
Aber nichts mehr über die Glocke.
Dann überprüfte Duane einer Eingebung folgend sämtliche Primärquellen über Benvenuto Cellini, eine der historischen Lieblingspersönlichkeiten des Alten, obwohl Duane wußte, der reizbare Künstler wurde erst 1500 geboren, acht Jahre nachdem Rodrigo Borgia Papst Alexander VI. geworden war.
An einer Stelle schilderte Cellini seine Gefangenschaft im Kastell Sant Angelo, dem gewaltigen, unförmigen Steinklotz, den Hadrian vierzehnhundert Jahre früher als Familiengruft hatte erbauen lassen. Papst Alexander -Rodrigo Borgia - hatte befohlen, daß die gigantische Grabstätte zur Festung ausgebaut und zur Palastresidenz umgestaltet werden sollte. Gemächer und Schächte im Stein, die weit über tausend Jahre nur Leichen und Dunkelheit gekannt hatten, waren zur Wohnstatt und Festung des Borgia-Papstes geworden.
Darüber hatte Cellini geschrieben:
Ich wurde in einem düsteren Kerker unter der Ebene eines Gartens eingesperrt, welcher von Wasser überflutet war und in dem es von Spinnen und giftigen Würmern wimmelte. Sie warfen mir eine fadenscheinige Matratze aus grobem Sacktuch herunter, gaben mir nichts zu essen und verriegelten vier Türen hinter mir ... Anderthalb Stunden täglich wurde mir ein Fünkchen Licht gewährt, welches durch eine überaus schmale Scharte in jene unglückselige Höhle fiel. Den Rest des Tages und die Nacht vegetierte ich in Finsternis. Und dies war eine der angenehmeren Zellen. Von anderen Unglücklichen erfuhr ich von den verlorenen Seelen, welche ihre letzten Tage in der abscheulichsten aller Gruben verbrachten, den tiefergelegenen Kerkern am Grunde des Luftschachts zur unrühmlichen Glocke des bösen Borgia-Papstes. In ganz Rom und den Provinzen erzählte man sich, daß diese Glocke aus unheiligem Metall gegossen und mit bösen Taten geweiht worden war und nun als Wahrzeichen des Pakts zwischen dem ehemaligen
Papst und dem Teufel persönlich im Turme hing. Wir in unseren Zellen, die wir in fauligem Wasser hockten und unsere ranzigen Küchenabfälle aßen, wußten alle, daß der Schlag dieser Glocke das Ende der Welt verkünden würde. Ich muß gestehen, zuzeiten wäre mir dieser Klang durchaus willkommen gewesen.
Duane kritzelte Notizen. Merkwürdig, immer merkwürdiger. Später wurde die Glocke nicht mehr in Cellinis Autobiographie oder Aufzeichnungen erwähnt, aber in einem früheren Abschnitt über den Künstler Pinturicchio - offenbar ein Zeitgenosse des Borgia-Papstes, nicht von Cellini selbst - fand sich etwas Relevantes:
Auf Verlangen und Geheiß des Papstes ...
Duane schlug nach und vergewisserte sich, daß Alexander alias Rodrigo Borgia gemeint war. So war es.
Auf Verlangen und Geheiß seines Papstes, machte sich dieser taube und kleinwüchsige Künstler ...
Duane schlag nach und vergewisserte sich, daß Cellini von Pinturicchio sprach, dem Künstler Borgias. So war es.
... von garstigem Äußeren und ebensolcher Persönlichkeit, dann daran, die Wandbilder zu malen, welche die Torre Borgia mit bizarrer Wirkung schmückten und ihren Höhepunkt im Saal der Sieben Mysterien in den abscheulichen Borgia-Gemächern fanden.
Duane hielt inne und legte Cellinis Aufzeichnungen beiseite, um nachzusehen, worum es sich beim Torre Borgia handelte. In einem Führer durch die Anlagen des Vatikans stand zu lesen, daß es sich um einen festen Turm handelte, der auf Geheiß von Papst Alexander VI. dem Vatikanpalast hinzugefügt worden war. Eine frühere Erweiterung durch Papst Sixtus war ein dunkles und scheußlich zugiges Lagerhaus namens Sixtinische Kapelle gewesen. Papst Innozenz hatte sich für ein liebliches Sommerhaus in einem entlegeneren Teil der vatikanischen Gärten entschieden. Borgia hatte einen Turm gebaut. In einem Architekturlexikon von 1886
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