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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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der Stadt, hatte auch Duane die Erwachsenen über die Gerüchte sprechen hören, wonach der Friedensrichter mit gestohlenen Autos handelte. Duane fragte sich, ob Teile der Wracks bei dieser Gaunerei nützlich sein konnten. Er sagte: »Wissen Sie, wohin das von heute gebracht wurde?«
    »Nee«, sagte der Sheriff. »Aber wahrscheinlich zu Ernie, weil er den Abschleppwagen wiederhaben mußte. Sonntags ist er allein, und seiner Frau stinkt es, wenn sie Benzin pumpen muß. Aber keine Bange, Junge, persönliche Habseligkeiten, die wir finden, geben wir dir und deinem Dad. Ihr seid die nächsten Verwandten, oder nicht?«
    »Ja«, sagte Duane und überlegte, was für ein altes und ehrbares Wort >Verwandte< doch war. Er erinnerte sich, wie er Chaucer gelesen hatte - Onkel Arts Ausgabe -, wo das Wort Verwante lautete. Onkel Art war ein Verwandter. »Ja«, sagte er noch einmal leise.
    »Nun, sei unbesorgt, Junge. Wenn ein Buch oder sonst etwas in dem Auto war, werdet ihr es bekommen. Ich gehe morgen früh zu Ernie und vergewissere mich selbst. Bis dahin muß ich vielleicht noch etwas über den Bericht wissen, den ich schreibe. Sind du und dein Dad heute abend zu Hause?«
    »Ja.«
    Als die Unterhaltung zu Ende war, machte das Haus einen verlassenen Eindruck. Duane hörte das Ticken der Uhr über dem Herd und das Vieh weit draußen auf der Westwiese muhen. Der Himmel hatte sich wieder bewölkt. Trotz der Hitze war kein richtiges Sonnenlicht zu sehen.
    Dale Stewart hörte am Spätnachmittag von seiner Mom vom Tod von Duanes Onkel; sie hatte mit Mrs. Grumba-cher gesprochen, die es von Mrs. Sperling gehört hatte, einer guten Freundin von Mrs. Taylor. Er und Lawrence bauten ein Modell-Spad, als ihre Mutter es ihnen mit leiser Stimme erzählte. Lawrences Augen füllten sich mit Tränen, er sagte: »Herrje, der arme Duane. Erst sein Hund und jetzt sein Onkel.«
    Da hatte Dale seinen Bruder fest auf die Schulter geschlagen; er war nicht sicher, warum.
    Er hatte eine Weile gebraucht, bis er den Mut aufbrachte, aber dann ging er zum Telefon in der Diele und wählte Duanes Nummer, wobei er das Gemeinschaftstelefon zweimal läuten ließ, wie erforderlich. Ein Klick war zu hören, dann ging diese unheimliche Antwortmaschine an und sagte mit Duanes emotionsloser Stimme: »Hi. Wir können momentan nicht ans Telefon, aber was Sie sagen, wird aufgenommen, und wir melden uns bei Ihnen. Bitte zählen Sie bis drei und sprechen Sie.«
    Dale zählte bis drei, dann legte er mit brennendem Gesicht auf. Es würde ihm momentan schwer genug fallen, mit dem armen Duane selbst zu reden; aber einem Tonband sein Beileid auszusprechen, das brachte er nicht fertig. Dale ließ Lawrence an dem Modell weiterarbeiten, wobei sein Bruder die Zunge herausstreckte und vor Konzentration fast schielte, und fuhr die Straße entlang zu Mike.
    »Eeawkee!« Dale stieß einen Schrei aus, sprang vom Fahrrad und ließ es ein paar Meter allein weiterrollen, ehe es auf den Rasen kippte.
    »Keeawee.« Mikes Antwortruf kam von einem gigantischen Ahornbaum, der über die Straße hing.
    Dale lief zurück, kletterte die paar Sprossen zum unteren Baumhaus in einer Höhe von viereinhalb Metern hinauf und dann weiter zu der neun Meter höher gelegenen geheimen Plattform. Mike saß mit dem Rücken an einem kräftigen Ausläufer des zweigeteilten Stamms und ließ die Beine über die aus drei Brettern zusammengenagelte Plattform baumeln. Dale zog sich hoch und lehnte sich gegen den anderen Stamm. Er sah nach unten, aber der Boden versteckte sich hinter Blättern, und er wußte, sie waren vom Boden aus nicht zu sehen. »He«, sagte er, »ich hab' grade gehört...«
    »Ja«, sagte Mike. Er kaute auf einem langen Grashalm. »Hab' ich auch vor einer Weile gehört. Ich wollte nachher vorbeikommen und mit dir reden. Du kennst Duane besser.«
    Dale nickte. Er und Duane waren Freunde geworden, als sie in der vierten Klasse ein gemeinsames Interesse an Büchern und Raketen entdeckt hatten. Aber Dale hatte von Raketen geträumt; Duane hatte sie gebaut. Dales Lesefähigkeit war früh entwickelt -in der vierten Klasse hatte er die Die Schatzinsel und den echten Robinson Crusoe gelesen -, aber Duanes Leseliste war unglaublich. Die beiden waren Freunde geblieben, hatten in den Pausen zusammengesteckt und einander in den Sommerferien ein paarmal besucht. Dale glaubte, daß er der einzige war, dem Duane von seiner Ambition erzählt hatte, Schriftsteller zu werden. »Es nimmt niemand ab«, sagte Dale. Er

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