Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
sah, daß der strahlenkanonen-förmige Dimmer abgerissen war. Die Beifahrerseite war relativ unbeschädigt, nicht einmal das eingedrückte Dach hatte ihr etwas anhaben können, aber der Fahrersitz war nach hinten durch die Polster der Rückbank gedrückt worden. Das Lenkrad war nicht mehr da, wohl aber die Lenksäule, die ins Wasser fünfzig Zentimeter tiefer ragte. Vorne, wo der Fahrer saß, beanspruchten eine Masse verbogenen Motormetalls und zerfetzter Trennwand den Platz wie der Leichnam eines ermordeten Roboters.
    Der Sheriff zog die Hose hoch, ging in die Hocke und hielt die polierten Schuhe sorgfältig aus Schlamm und Wasser. Er räusperte sich. »Als er die Kontrolle über das Fahrzeug verloren hatte, hat Ihr Bruder das Brückengeländer getroffen, und ... äh ... wie Sie sehen können, muß der Aufprall ihn sofort getötet haben.«
    Der Alte nickte wie zuvor. Er kauerte mit Füßen und Knöcheln im Bach und hatte die Hände auf den Knien. Er betrachtete seine Finger und studierte sie, als wären sie etwas Fremdes. »Wo ist er?«
    »Mr. Mercer hat ihn ins Bestattungsinstitut Taylor gebracht«, sagte der Sheriff. »Er muß ... äh ... noch einiges erledigen, dann können Sie Absprachen mit Mr. Taylor treffen.«
    Der Alte schüttelte sachte den Kopf. »Art hat nie ein Begräbnis gewollt. Schon gar nicht bei Taylor.«
    Der Sheriff rückte die Brille zurecht. »Mr. McBride, hat Ihr Bruder getrunken?«
    Der Alte drehte sich um und sah den Sheriff zum erstenmal an. »Sonntagsvormittags nicht.« Seine Stimme sprach in dem vollkommen tonlosen, beherrschten Tonfall, der, wie Duane wußte, einen Wutanfall ankündigte.
    »Ja, Sir«, sagte der Sheriff. Sie mußten alle aus dem Weg, als Ernie das Kabel mit der Seilwinde am Schrottauto spannte. Der Bug des Caddy hob sich, Wasser floß aus den Fenstern, dann drehte er sich langsam Richtung Ufer. »Nun, vielleicht hat er einen Herzanfall gehabt, oder eine Biene ist ihm ins Auto geflogen. Viele Leute verlieren dabei die Kontrolle.«
    »Wie schnell ist er gefahren?« fragte Duane. Er hörte seine eigene Stimme mit Erstaunen.
    Der Alte und der Sheriff sahen ihn beide an. Duane bemerkte, wie blaß und dick er in der Brille des Sheriffs aussah.
    »Wir schätzen fünfundsiebzig bis achtzig Meilen«, sagte der Sheriff. »Ich habe die Bremsspuren nur angesehen, bin sie nicht abgeschritten. Aber gerast ist er.«
    »Mein Bruder war kein Raser«, sagte der Alte, dessen Gesicht dicht vor dem des Sheriffs war. »Er hat immer genau das Gesetz eingehalten. Ich habe ihm immer gesagt, daß das albern wäre.«
    Der Sheriff stand dem Alten einen Moment von Angesicht zu Angesicht gegenüber, dann sah er zu der zertrümmerten Brücke hinauf. »Ja, nun, heute morgen ist er gerast. Darum müssen wir einen Test durchführen, um festzustellen, ob er getrunken hatte.«
    »Aufpassen!« schrie Ernie; die drei wichen zurück, als der Cad-dy vertikal aus dem Wasser kam. Duane sah mit dem schmutzigen Wasser und den durchweichten Landkarten einen Flußkrebs herauspurzeln. Er erinnerte sich, wie er mit Dale und Mike und den anderen Kindern aus der Stadt vorvorigen Sommer Flußkrebse hier gejagt hatte.
    »Könnte ihn jemand von der Straße abgedrängt haben?« fragte Duane.
    Der Sheriff sah ihn lange an. »Spricht nichts dafür, Junge. Und niemand hat den Unfall gemeldet.«
    Der Alte schnaubte.
    Duane ging näher zu dem Caddy, der jetzt so gedreht war, daß sie die Fahrerseite sehen konnten. Er deutete auf eine rote Delle, die man gerade an der verbogenen Fahrertür erkennen konnte. »Könnte diese Farbe nicht von dem Fahrzeug übrig sein, das Onkel Arts Auto gegen das Geländer gedrängt hat?«
    Der Sheriff kam näher und ging mit der Sonnenbrille dicht vor das tropfende Wrack. »Sieht älter aus, Junge. Aber wir werden uns darum kümmern.« Er trat zurück, steckte die Daumen in den Pistolengürtel und kicherte. »Nicht viele Fahrzeuge könnten einen Caddy von dieser Größe von der Straße drängen, wenn er es nicht wollte.«
    »Etwas so Großes wie ein Abdeckereilaster könnte es«, sagte Duane. Er sah zur Böschung und bekam mit, daß J. P. Congden zu ihm heruntersah.
    »Ihr müßt alle da raus, wenn wir das elende Ding hochwinden!« brüllte Ernie.
    »Komm mit!« sagte der Alte. Es waren die ersten Worte, die er seit der Ankunft des Sheriffs mit Duane gewechselt hatte. Die beiden gingen mit rutschenden Füßen die steile Böschung hinauf. Der Alte machte etwas, das er seit fünf Jahren nicht mehr

Weitere Kostenlose Bücher