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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Harz von der Hand zu wischen. Er sah mit zusammengekniffenen Augen durch den dünnen Blätterbaldachin über ihnen zum Himmel. »Wird bald dunkel sein.«
    »Nein, nie. Wir haben noch zwei Stunden. Diese Woche sind die Tage länger als in jeder anderen Woche des Jahres, Schafskopf. Es ist heute abend nur bewölkt.«
    Dale dachte an den langen Weg zu Duanes Haus. Er erinnerte sich an Duanes Schilderung, wie ihn der Abdek-kereilaster überfahren wollte. Das war auf derselben Straße gewesen. Er dachte daran, daß er mit Mr. McBride und allen anderen Erwachsenen da draußen sprechen mußte. Was konnte schwerer sein, als jemand nach einem Todesfall zu besuchen?«
    »Okay«, sagte er. »Gehen wir.«
    Sie kletterten hinunter, holten ihre Räder und fuhren zur Stadt hinaus. Im Osten war der Himmel fast schwarz, als würde ein Gewitter aufziehen. Die Luft war totenstill. Auf halbem Weg zur County Six tauchte vor ihnen in einer Staubwolke ein Lastwagen auf. Dale und Mike fuhren ganz rechts, fast in den Graben, um ihn vorbei zu lassen.
    Es waren Duane und sein Dad, die mit dem Pritschenwagen in die andere Richtung fuhren. Der Lieferwagen hielt nicht an.
    Duane sah seine beiden Freunde auf den Fahrrädern und dachte sich, daß sie wahrscheinlich zur Farm unterwegs waren, um ihn zu besuchen, und er sah über die Schulter, wie sie anhielten, abstiegen und dem Laster nachsahen, bis die Staubwolke sie wenige Sekunden später einhüllte. Der Alte hatte Mike und Dale gar nicht bemerkt. Duane sagte nichts.
    Es war nicht leicht gewesen, den Alten davon zu überzeugen, daß es wichtig war, noch an diesem Abend nach dem Buch zu suchen. Duane hatte ihm das Band vorgespielt.
    »Und was soll das alles?« hatte der Alte gefragt. Seit er von Taylor zurückgekommen war, hatte er mörderische Depressionen gehabt.
    Duane zögerte einen Augenblick lang. Er konnte dem Alten alles erzählen, so wie er es Onkel Art erzählt hatte. Aber der Zeitpunkt schien nicht richtig. Die Sache mit der Borgia-Glocke schien müßiger Unsinn angesichts des schweren Verlustes des Alten zu sein. Duane erklärte, daß er und Onkel Art über diese Glocke geforscht hatten ... ein Kunstgegenstand, den die Ashley-Montagues aus Europa mitgebracht hatten und den alle anderen vergessen zu haben schienen. Duane stellte es wie einen Jux dar, eines der zahllosen Projekte, die er mit Onkel Art ausgeheckt hatte, wie damals, als sie beide voll auf Astronomie abgefahren waren und sich ihre eigenen Teleskope gebaut hatten, oder der Herbst, als sie versucht hatten, jeden Mechanismus zu bauen, den Leonardo da Vinci sich ausgedacht hatte. So etwas.
    Der Alte hatte Verständnis, sah aber nicht ein, wieso es so dringend sein sollte, in die Stadt zu fahren, um sich das Wrack des Cadillac an diesem Abend noch einmal anzusehen. Duane wußte, der vorübergehende Alkoholverzicht des Alten zerfleischte ihn wie ein Messer. Er wußte auch, wenn er den Alten allein ins Carl's oder Black Tree gehen ließ, würde es Tage dauern, bis er ihn wiedersah. Die Tavernen hatten sonntags offiziell geschlossen, aber manche Kunden kamen problemlos durch den Hintereingang rein.
    »Vielleicht könnte ich nach dem Buch suchen und du eine Flasche Wein kaufen oder so«, sagte Duane. »Du weißt schon, heute abend einen auf Onkel Arts Andenken trinken.«
    Der Alte sah ihn finster an, aber seine Züge entspannten sich langsam. Er selbst ließ sich selten auf einen Kompromiß ein, wußte aber einen guten zu schätzen, wenn er an ihn herangetragen wurde. Duane wußte, der Alte war hin- und hergerissen zwischen der Notwendigkeit, nüchtern zu bleiben, bis die Vorbereitungen für Onkel Arts Bestattung abgeschlossen waren, und dem essentiellen Bedürfnis, sich einen hinter die Binde zu kippen.
    »Okay«, sagte der Alte. »Wir sehen es uns an, und ich besorge was für zu Hause. Du kannst auch einen mittrinken.«
    Duane nickte. Bisher hatte er nur vor einem Sterbensangst gehabt - vor Alkohol. Er hatte Angst, die Krankheit könnte familienbedingt sein und ein Schluck ausreichen und ihn über die Schwelle bringen, das Verlangen in ihm wecken, das den Alten seit über dreißig Jahren verzehrte. Aber er hatte genickt, und sie waren in die Stadt aufgebrochen, nachdem sie ein Abendessen angestarrt hatten, das keiner auch nur anrührte.
    Ernies Texaco hatte geschlossen. Sonntags machte er normalerweise um vier Uhr zu, und heute war keine Ausnahme. Drei Wracks standen im Hof, aber kein Caddy. Duane sagte dem Alten, was ihm der

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