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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Kombi des Mannes ausgestreckt lag. Er kam sich in dem Gips albern und unbeholfen vor und mußte den Kopf vom Kissen heben, damit er die vorbeiziehende Landschaft sehen konnte. Jede Meile der fünfzehnminütigen Fahrt von Oak Hill nach Elm Haven schien Licht zu absorbieren, als würde das Auto in eine Zone der Dunkelheit hineinfahren.
    »Sieht so aus, als würde es regnen«, sagte der Freund seiner Mutter. »Weiß Gott, das Getreide kann es gebrauchen.«
    Harlen grunzte. Wer dieser Tüpfelscheißer auch sein mochte -Harlen hatte den Namen schon wieder vergessen, den seine Mutter ihm beim Vorstellen so sorglos zugezwitschert hatte, als wäre der Typ ein alter Freund der Familie, den Harlen kennen und lieben müßte -, wer er auch sein mochte, ein Farmer war er nicht. Der saubere, eingewachste Kombi, ein Woody, und die weichen Hände sowie der schnieke Städteranzug bewiesen es. Dieser Heini wußte wahrscheinlich gar nicht, ob das Getreide Regen oder Kuhscheiße brauchte, und wahrscheinlich war es ihm auch egal.
    Sie waren um sechs zu Hause - seine Mutter hatte ihn um zwei abholen sollen, war aber erst Stunden später gekommen -, und Heini machte ein Mordsgetue darum, Harlen zu seinem Zimmer zu helfen, als wäre sein Bein gebrochen, nicht sein Arm. Harlen mußte zugeben, ihm wurde schwindlig, als er die Treppe hinaufstieg. Er saß auf seinem Bett, sah sich in seinem Zimmer um - das ihm sehr seltsam und fremd vorkam - und versuchte, die Kopfschmerzen wegzublinzeln, während seine Mutter unten die Medikamente holte. Harlen konnte eine gedämpfte Unterhaltung hören, dann längeres Schweigen. Er stellte sich den Kuß vor, stellte sich vor, wie Heini die Zunge reinschob und seine Mutter das rechte Bein hochhob und abknickte, wobei der schwarze Stöckelschuh baumelte, wie immer, wenn sie ihren Heinis einen Gutenachtkuß gab, während Harlen es vom Fenster seines Zimmers beobachtete.
    Ein widerlich gelbes Licht, das durchs Fenster drang, erfüllte das Zimmer mit Schwefelfärbung. Plötzlich merkte er, warum das Zimmer so seltsam aussah: Seine Mutter hatte es aufgeräumt. Hatte die Kleidungsstücke weggeräumt, die Stapel der Comics, die Spielzeugsoldaten und kaputten Modelle, den staubigen Plunder unter dem Bett, sogar den Berg der Zeitschrift Boy's Life, der seit Jahren in der Ecke gelegen hatte. Mit einem Anflug heißer Schuldgefühle fragte sich Harlen, ob sie seinen Schrank tief genug aufgeräumt hatte, daß sie die Pornoheftchen gefunden hatte. Er wollte aufstehen und nachsehen, aber Schwindelgefühl und Erschöpfung zwangen ihn aufs Kissen zurück. Drauf gepfiffen. Um den Chor der Schmerzen komplett zu machen, stimmte nun auch noch sein Arm in die abendlichen Qualen ein. Herrgott, sie hatten eine Stahlnadel eingesetzt! Harlen machte die Augen zu und stellte sich einen Stahlnagel von der Größe einer Schwellenschraube vor, der durch seinen gesplitterten Knochen gejagt worden war.
    Stahl im Knochen abgebrochen, reimte Jim Harlen und merkte, wie gefährlich nahe er den Tränen war. Fick noch mal, wo steckt sie? Oder vielleicht, wo steckt sie undfickt?
    Seine Mutter kam ins Zimmer und schnatterte und zwitscherte vor Freude, daß sie ihren Jimmy wieder zu Hause hatte, Harlen sah, wie dick das Make-up auf ihren Wangen war. Und ihr Parfüm war auch nicht der angenehme blumige Duft der Krankenschwestern, die nachts nach ihm gesehen hatten, sie roch moschusartig, wie ein jagendes Nachtlebewesen. Ein Nerz oder ein läufiges Wiesel.
    »Nimm deine Tabletten, dann werde ich rasch das Essen machen«, trällerte sie.
    Sie gab ihm die ganze Flasche Tabletten, keinen kleinen Becher mit der vorgeschriebenen Dosis wie die Schwestern. Harlen schluckte drei der Kodeintabletten und nicht eine, wie er sollte. Scheiß auf die Schmerzen! Seine Mutter war zu sehr damit beschäftigt, durch das Zimmer zu wirbeln und Kissen aufzuschütteln, und merkte es nicht. Harlen wurde klar, wenn sie ein Gezeter wegen der Pornoheftchen veranstalten wollte, würde sie sich das für einen anderen Tag aufheben.
    Ihm war das egal. Sie konnte runtergehen und das Essen anbrennen lassen, das sie machte - sie kochte etwa zweimal im Jahr, und es war immer eine Katastrophe -, Harlen spürte bereits das lähmende Summen der Medikamente und war bereit, an diesen armen, hübschen, grenzenlosen Ort zu entschlüpfen, wo er die ersten paar Tage im Krankenhaus soviel Zeit verbracht hatte, als sie ihm stärkere Schmerzmittel gegeben hatten.
    Er fragte seine Mutter

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