Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
etwas.
    »Was, Liebes?« Sie hängte seinen Morgenmantel auf und hielt inne, und Harlen stellte fest, daß seine Stimme ziemlich nuschelnd geklungen hatte. Er versuchte es noch einmal:
    »Sind meine Freunde dagewesen?«
    »Deine Freunde? Aber ja, Liebes, sie haben sich Sorgen gemacht und gesagt, ich soll dir schöne Grüße bestellen.«
    »Wer?«
    »Pardon, Liebes?«
    »Wer?« fragte Harlen schroff, bemühte sich dann aber, seine Stimme zu beherrschen. »Wer ist hier gewesen?«
    »Nun, dieser nette Farmersjunge - wie heißt er doch gleich -Donald, ist letzte Woche im Krankenhaus gewesen ...«
    »Duane«, sagte Harlen. »Der ist kein Freund. Er ist ein Bauernlümmel mit Stroh hinter den Ohren. Ich meine, wer ist hier im Haus gewesen?«
    Seine Mutter runzelte die Stirn und spielte mit den Fingern, wie sie es immer machte, wenn sie nervös war. Harlen fand, durch den grellroten Nagellack sahen ihre weißen Finger aus, als würden sie in blutigen Stummeln enden. Die Vorstellung amüsierte ihn irgendwie. »Wer?« sagte er. »O'Rourke? Stewart? Daysinger? Grumbacher?«
    Seine Mutter seufzte. »Ich kann mir die Namen deiner kleinen Freunde nicht merken, Jimmy, aber ich habe von ihnen gehört. Jedenfalls von ihren Müttern. Sie machen sich alle große Sorgen. Die nette Dame, die im A & P arbeitet, war ganz besonders besorgt.«
    »Mrs. O'Rourke«, seufzte Harlen. »Aber Mike und die anderen Jungs sind nicht vorbeigekommen.«
    Sie legte seinen Krankenhauspyjama zusammen, als wäre es das Allerwichtigste, ihn aufzuräumen. Als wären seine schmutzigen Pyjamas und die Unterwäsche nicht wochenlang auf genau diesem Boden herumgelegen, bevor er ins Krankenhaus gekommen war. »Ich bin sicher, Liebling, daß sie hier gewesen sind, aber ich war ... nun, natürlich sehr beschäftigt, häufig im Krankenhaus, und dann mußte ich mich auch um ... andere Dinge kümmern.«
    Harlen versuchte, sich auf die rechte Seite zu drehen; der Gips war ein hinderlicher Auswuchs am linken Arm, am Ellbogen abgewinkelt, aber schwer und steif. Er spürte, wie ihn das Kodein forttrug. Vielleicht brachte er sie dazu, daß sie sämtliche Fläsch-chen hier ließ, damit er sich selbst um die Schmerzen kümmern konnte. Den Ärzten war es egal, ob man Schmerzen hatte; ihnen machte es keinen Harten, wenn man mitten in der Nacht aufwachte, Angst hatte und solche Qualen litt, daß man sich in die Schlafanzughose pissen wollte. Sogar die Krankenschwestern, die so gut rochen, scherten sich einen Dreck darum; sie kamen, wenn man sie rief, aber dann gingen sie wieder mit ihren quietschenden Schuhen fort, beendeten ihren Dienst und gingen nach Hause, um dort mit irgendeinem Scheißtypen zu vögeln.
    Seine Mutter gab ihm einen Kuß, und er konnte Heinis Rasierwasser an ihr riechen. Er wandte das Gesicht ab, bevor ihm von ihrem Zigarettenatem und Heinis Kölnisch übel wurde.
    »Schlaf gut, Liebes.« Sie deckte ihn zu, als wäre er ein Baby, aber der Gips paßte nicht unter die Decke, deshalb mußte sie sie sorgfältig um ihn herum arrangieren wie eine Christbaumgirlande. Harlen schwebte in plötzlicher Freiheit von Schmerzen und einer Betäubung, in der er sich lebendiger fühlte als die ganze Woche bisher.
    Es war noch nicht dunkel. Bei Tag schlief Harlen gern ein ... die gottverdammte Dunkelheit haßte er. Er konnte ein Nickerchen machen, bis er wieder aufwachte und seine stumme Nachtwache hielt. Er wollte wach sein, falls es kam.
    Falls was kam?
    Die Medikamente schienen sein Denken freizusetzen, als würden die Barrieren zu dem Geschehenen - was er gesehen hatte -eingerissen werden. Als würden sich die Vorhänge öffnen ...
    Harlen wollte sich umdrehen, stieß den Gips an, stöhnte gequält und empfand den Schmerz als etwas außerhalb, wie einen kleinen, aber hartnäckigen Hund, der an seinem Ärmel zupfte. Er ließ nicht zu, daß die Barrieren einstürzten, die Vorhänge sich hoben. Was immer ihn jede Nacht schweißgebadet und mit klopfendem Herzen weckte, er wollte nicht, daß es zurückkam.
    Sollte der Teufel O'Rourke und Stewart und Daysinger und die anderen holen! Alle miteinander! Sie waren sowieso keine richtigen Freunde. Wer brauchte sie schon? Harlen haßte die ganze beschissene Stadt mit ihren fetten, beschissenen Bewohnern und den beschissenen dummen Kindern.
    Und die Schule.
    Jim Harlen fiel in ein unruhiges Dösen. Das schwefelgelbe Licht auf der Tapete wurde rötlich, dann wich es der Dunkelheit, während sich das Gewitter knurrend näher

Weitere Kostenlose Bücher