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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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unerträglich. Er stand auf und ging um den Kreis der verwüsteten Pflanzen herum, sah allerorten Chaos und erinnerte sich, wie sein Vater seiner Mutter erzählt hatte, Barney hätte gesagt, die Staatspolizisten und freiwilligen Feuerwehrmänner hätten die Unfallstelle so sehr niedergetrampelt, daß die Polizei von Oak Hill nicht viel rekonstruieren konnte. Rekonstruieren, dachte Dale. Seltsames Wort für die Aufklärung, wie etwas oder jemand vernichtet worden ist.
    »Wonach suchen wir eigentlich?« flüsterte Mike aus zwanzig Schritt Entfernung. »Hier liegt nur jede Menge Plunder herum.«
    »Such weiter!« flüsterte Dale. »Wenn wir es gefunden haben, wissen wir es.« Er trat zwischen den Mais außerhalb der Polizeiabsperrung und ging geduckt die Reihe entlang.
    Nach fünf Minuten hatte er es gefunden, keine zehn Meter von dem verwüsteten Areal entfernt. Es war unter den Blättern des wachsenden Maises kaum zu sehen, aber sein Turnschuh war in etwas steckengeblieben, und er hatte sich gebückt und nachgesehen. Als er winkte, kam Mike gelaufen. Die beiden kauerten auf Händen und Knien, der Regen prasselte auf Maispflanzen neben ihren Ohren.
    »Ein Loch«, flüsterte Dale. Er maß es mit zwei Händen. Nicht ganz dreißig Zentimeter im Durchmesser, aber die Erde um das Loch herum sah aufgewühlt und seltsam aus. Er steckte eine Hand hinein, aber Mike zog sie hastig wieder zurück. »Nicht.« »Warum?« sagte Dale. »Ich wollte nur sehen, ob es weiter drinnen breiter ist. Ist es. Überzeug dich selbst.« Mike schüttelte den Kopf.
    »Die Seiten fühlen sich auch komisch an«, sagte Dale. »Irgendwie steif. Und das Loch hat Furchen an den Seiten.« Er hob den Kopf. Auf der Farm der McBrides regte sich nichts, aber er hatte das deutliche Gefühl, daß sie beobachtet wurden. »Suchen wir, ob wir noch mehr finden.«
    Sie fanden noch sechs weitere. Das größte hatte einen Durchmesser von über vierzig Zentimetern, das kleinste war kaum größer als ein Mauseloch. Ein Muster war nicht ersichtlich, aber die meisten befanden sich näher zur Farm auf beiden Seiten der abgeernteten Schneise.
    Dale wollte sich in die Scheune schleichen und feststellen, ob der Mähdrescher dort war.
    »Herrgott noch mal... warum willst du das?« flüsterte Mike und zog seinen Freund weiter herunter. Sie waren zu nahe. Die Jungs konnten schon die Ziffern auf den Klipsen in den Ohren der wenigen Kühe hinter der Scheune lesen. »Ich will nur ... ich muß ...« Dale holte tief Luft. Als eine Tür zugeschlagen wurde, warfen sich beide Jungs zwischen den Reihen in den Schlamm. Als sie da lagen und hörten, wie ein Lastwagenmotor angelassen wurde, stellte Dale fest, daß es fast aufgehört hatte zu regnen. Die Luft war noch von einem feinen Nebel erfüllt, aber der Wolkenbruch hatte aufgehört.
    »Er ist die Einfahrt runter«, flüsterte Mike. »Aber mir ist, als wäre noch jemand da. Gehen wir in den Wald zurück.«
    »Ein Blick in die Scheune«, flüsterte Dale und wollte aufstehen.
    Mike zog ihn nach unten. »Ich habe diese Dinger schon gesehen.«
    Dale duckte sich und sah Mike in seinem Regenmantel blinzelnd an. »Was für Dinger?«
    »Die Löcher. Diese Tunnel.«
    »Wo?«
    Mike drehte sich um und entfernte sich von der Farm. »Komm mit, dann erzähle ich es dir.« Er ging geduckt zur nächsten Reihe.
    Dale zögerte. Er war nur rund dreißig Meter von der Scheune entfernt. Das Gefühl, daß er beobachtet - observiert - wurde, war immer noch stark, aber ebenso der Wunsch, die Maschine zu sehen. Dieser Wunsch war kaum von morbider Neugier begleitet; der Gedanke, die Schneiden oder Räder oder was auch immer zu sehen, die seinen Freund zerfleischt hatten, machten ihn krank, aber er mußte es wissen... damit er verstehen konnte.
    Es hatte wieder angefangen zu regnen. Dale sah nach Süden, sah flüchtig Mikes Regenmantel zwischen den Maispflanzen, dann drehte er sich um und folgte ihm.
    Es würde später noch Zeit sein.

21 
    Es regnete mit Unterbrechungen drei Wochen lang. Jeden Morgen fand am Himmel ein blitzschnell umschlagender Krieg zwischen Sonnenschein und Wolken statt, aber gegen zehn fing es stets an zu nieseln und zur Mittagszeit regnete es vom tiefhängenden Himmel.
    Am 25. Juni und 2. Juli wurde die Gratisvorstellung abgesetzt, obwohl am zweiten Samstag der Himmel klar und der Abend mild waren. Am nächsten Morgen stellte sich der Regen wieder ein. Rings um Elm Haven schien die durstige Erde von Illinois die Feuchtigkeit zu trinken und

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